AUTOREN

Stephen Dover, CFA
Chief Investment Strategist
Head of Franklin Templeton Institute
Wir beim Franklin Templeton Institute und das gesamte Unternehmen sind uns der humanitären Krise bewusst, die sich aktuell in der Region entfaltet. In diesen schlimmen und schwierigen Zeiten ist es nicht einfach, eine distanzierte Haltung einzunehmen und die Auswirkungen für die Weltwirtschaft und die globalen Märkte zu analysieren. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, uns auf diese Auswirkungen und die Folgen für die Anleger zu konzentrieren.
Der Konflikt in seiner derzeitigen Form wird unseres Erachtens keine weitreichenderen wirtschaftlichen oder Marktauswirkungen haben. Während der Einmarsch Russlands in die Ukraine massive direkte und indirekte Auswirkungen auf die globale Energie-, Düngemittel- und Nahrungsmittelversorgung hatte, dürfte der Krieg zwischen Israel und der Hamas – vorausgesetzt, er weitet sich nicht zu einem größeren regionalen Konflikt aus – die globale Versorgung mit kritischen Gütern nur in geringem Maße beeinträchtigen – wenn überhaupt. Selbst die Auswirkungen auf Israels dynamische Technologie- und Pharmasektoren dürften gering sein, auf globaler Ebene dürften diese Sektoren kaum beeinträchtigt werden.
Beispielsweise macht Israel nur rund 1 % der gesamten globalen Produktion von Computerchips aus.1 Natürlich könnte der Arbeitskräftemangel zu einem gewissen Produktionsverlust führen, denn in ganz Israel (und aus dem Ausland) werden rund 300.000 Reservisten mobilisiert. Daher scheint es schwer vorstellbar, dass Produktionsstörungen in diesen Sektoren oder in anderen Teilen der israelischen Wirtschaft vollständig vermieden werden können.
In Zeiten wie diesen sind Energieversorgung und Preisschocks in den Köpfen der Anleger sehr präsent. Viele erinnern sich noch sehr gut an die 1970er-Jahre. Während des israelisch-arabischen Kriegs von 1973 und dann wieder 1979 nach der iranischen Revolution unterbrachen Embargos und andere Marktstörungen die Öllieferungen aus dem Nahen Osten. Sollte der aktuelle Konflikt über Israel und den Gazastreifen hinaus eskalieren, könnten die Ölpreise in die Höhe schnellen und es könnte zu Lieferunterbrechungen kommen.
Aber in den vergangenen 50 Jahren haben sich die politischen Rahmenbedingungen und Bündnisse in der Region verändert. Die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) haben sich in den letzten Jahren verbessert. Dieses Jahr wurde mit einer ähnlichen Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien gerechnet. Die offiziellen Verbindungen wurden vor dem Hintergrund des aktuellen Konflikts vorerst wieder auf Eis gelegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die arabischen Länder am Persischen Golf gegen Israel und die USA vorgehen und die Förderung und den Vertrieb von Öl als Waffe nutzen, ist heute jedoch deutlich geringer.
Tatsächlich haben sich wichtige regionale Akteure wie die Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien, Katar und die VAE bisher mit Reaktionen auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas eher zurückgehalten. Dies zeugt davon, dass die politischen Gegebenheiten und Bündnisse in der Region anders sind als noch vor einigen Jahren. Mitleid angesichts des Leids der unschuldigen Zivilbevölkerung ist sicherlich ein Grund. Ein weiterer Grund ist aber auch die in vielen Teilen des Nahen Ostens weitverbreitete Sorge, dass Kriege, Konflikte und potenzielle Flüchtlingskrisen am besten vermieden werden sollten.
Das soll nicht heißen, dass es nicht auch Akteure gibt, die diesem Konflikt positive Aspekte abgewinnen können. Russland will die Aufmerksamkeit der Welt mit aller Macht von seinem Einmarsch in die Ukraine ablenken. Gleichzeitig hofft das Land, dass der Westen der verschiedenen Kriege, selbst wenn es sich nur um Stellvertreterkriege handeln sollte, an zahlreichen Fronten bald überdrüssig werden könnte. Verschiedene regionale Gruppierungen könnten versuchen, politische Vorteile aus dem Konflikt zu ziehen. Die Unsicherheit in der Region ist verständlicherweise nach wie vor hoch und eine Eskalation kann nie ausgeschlossen werden.
Beispielsweise könnte der Iran für eine Ausweitung des Konflikts sorgen, denn das Land unterstützt seit Langem die Hamas. Sollten vom Iran unterstützte militante Kräfte im Libanon (z. B. die Hisbollah) oder anderswo Israel angreifen, dann könnten israelische Gegenschläge dazu führen, dass der Konflikt zu einem regionalen Krieg eskaliert. Iran könnte dann versuchen, die Ölproduktion im Persischen Golf und die Exporte über die Straße von Hormus mit militärischen Mitteln zu stören oder zu sabotieren. Sollte eines dieser Szenarien eintreten, dann würden die Ölpreise sicherlich in die Höhe schnellen, ebenso wie die Risikoprämien am Markt.
Daher ist es im wirtschaftlichen Interesse Israels und seiner Verbündeten, der USA und Europas, die nationalen Sicherheitsinteressen des Landes zu verfolgen. Gleichzeitig ist es auch im Interesse Israels und seiner Verbündeten, den Konflikt nicht unnötig eskalieren zu lassen.
Den USA ist es bisher gelungen, sowohl ihre klare und unmissverständliche Unterstützung für Israel zum Ausdruck zu bringen als auch gleichzeitig zu Zurückhaltung zu mahnen. Die USA haben potenzielle Gegner davor gewarnt, die Lage auszunutzen. Man kann unmöglich mit Sicherheit – noch nicht einmal mit fester Überzeugung – sagen, dass diese Botschaften Beachtung finden werden oder dass Israel, sollte es erneut angegriffen werden, von einer riskanten Eskalation absehen wird. Doch das Wissen, dass sich die Mächte der Region der Gefahr von Fehlentscheidungen bewusst sind und diese wahrscheinlich vermeiden werden, sorgt für eine gewisse Beruhigung.
Schließlich möchten wir auch noch hervorheben, dass dieser Anstieg der globalen geopolitischen Spannungen den Trend hin zur Regionalisierung des Handels beschleunigen dürfte. Das „Reshoring“ (Rückholung von Produktionskapazitäten aus dem Ausland), das seit einiger Zeit zu beobachten ist, wird maßgeblich dadurch vorangetrieben, dass nach den Erfahrungen der Coronapandemie und des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine alle Länder bestrebt sind, für größere strategische Stabilität zu sorgen.
Zusammengefasst lässt sich sagen: So grauenvoll und entsetzlich die Bilder bisher waren und nach wie vor sind, das Risiko größerer Beeinträchtigungen der Weltwirtschaft durch den Konflikt zwischen Israel und der Hamas scheint derzeit begrenzt. Wir und die Anleger müssen diese Risiken auch weiterhin genau beobachten, doch wir sind nicht der Ansicht, dass der Konflikt in seiner derzeitigen Form erhebliche Auswirkungen auf das globale Wirtschaftswachstum, die Inflation, die Unternehmensgewinne, die Zinsen oder die Wechselkurse haben wird.

Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Franklin Templeton Institute
- Quelle: OEC (Observatory of Economic Complexity), Stand der Daten: 13. Oktober 2023.
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