In den letzten zwölf Monaten haben sich die Aktienkurse von Growth-Aktien meist schlechter entwickelt als die der sogenannten Value-Werte. Vor allem in diesem Jahr mussten die Wachstumstitel deutlich Federn lassen. Erklärungen hierfür gibt es viele.
Steigende Zinsen belasten Wachstum
Um der steigenden Inflation Herr zu werden, haben weltweit die Notenbanken angefangen, ihren geldpolitischen Kurs zu überdenken. Einen Schritt weiter ist dabei schon die US-amerikanische Fed. Mitte März haben die Währungshüter den wichtigen Leitzinssatz um 25 Basispunkte erhöht, und weitere Schritte sollen in den nächsten Wochen und Monaten folgen. Zudem wurde jüngst beschlossen, das Anleihenkaufprogramm deutlich zurückzufahren. Ähnliche Schritte, wenn auch nicht ganz so aggressiv, wurden inzwischen auch von der EZB eingeleitet.
Änderungen der Zinssätze wirken sich auf verschiedene Weise auf den Aktienmarkt aus. So ist die vorherrschende Meinung, dass bei steigenden Zinsen Wachstumsunternehmen ihre Schulden zu höheren Kosten refinanzieren müssen, da die Kreditaufnahme teurer wird. Dies sollte sich schmälernd auf die Gewinnspannen auswirken und das Wachstum bremsen. Da die Bewertungen von Growth-Aktien oftmals ein hohes (Gewinn-)Wachstum beinhalten, wird dies mit der Annahme weniger dynamischer Wachstumserwartungen durch Kursverluste entsprechend korrigiert und an die neuen Erwartungen angepasst.
Steigende Zinsen bzw. steigende Anleiherenditen führen zudem zu einem größeren Wettbewerb zwischen den beiden Anlageklassen Aktien und Renten. Aufgrund der gestiegenen Renditen im festverzinslichen Bereich beginnen Anleger vermehrt, risikoreichere Aktien zu verkaufen und in langsam attraktiver werdende Anleihen umzuschichten.
Viele Growth-Titel waren sehr teurer
Wachstumsaktien sehen bewertungstechnisch oft teuer aus und werden mit einem hohen Kurs-Umsatz-Verhältnis oder – falls sie bereits Gewinne machen – einem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis gehandelt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Anleger in der Zukunft hohe Umsätze oder Gewinne erwarten. Risikotolerante Investoren sind unter Umständen bereit, Aufschläge für diese Titel zu zahlen. Solange die Unternehmen weiterhin schnell wachsen, das Marktumfeld ruhig und im Idealfall die Zinsen niedrig sind bzw. die Notenbanken eine lockere Geldpolitik verfolgen, können solche Bewertungen durchaus vertretbar sein.
Seit einiger Zeit hat sich der Wind allerdings gedreht. Wie bereits geschildert, haben die Notenbanken das Ende der expansiven Geldpolitik eingeläutet, was auch an den Bewertungen für Growth-Titel nicht spurlos vorüberging. Ein wesentlicher Teil des Wertes von Wachstumsaktien besteht in ihrem künftigen Ertragspotenzial. Wenn die Zinsen niedrig sind, ist der Wert dieser zukünftigen Erträge hoch. Werden diese zukünftigen Erträge jedoch aufgrund steigender Zinsen mit einem höheren Satz abgezinst, fällt der Barwert dieser hochbewerteten Aktien weiter und schneller als der breitere Markt, was zu niedrigeren Kursen führt. Allgemein sind Growth-Aktien von Zinsänderungen stärker betroffen als Value-Aktien, weil ihre Cashflows weiter in der Zukunft liegen.
Zusätzlich bescherte die Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen für viele Technologieunternehmen eine Art Sonderkonjunktur. So schritten beispielsweise aufgrund von Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen Digitalisierung und E-Commerce deutlich schneller voran, als es sonst der Fall gewesen wäre. Dies führte dazu, dass einige Unternehmen ein exorbitantes Wachstum erlebten – auf Jahressicht 100 % und mehr waren keine Seltenheit. Mit der Rückkehr zur Normalität gingen auch diese Wachstumszahlen zurück, was zu einer Neubewertung von zahlreichen Unternehmen führte.
Gesamtwirtschaftliche Lage ist angespannt
Aktuell hat die globale Konjunktur mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Der fürchterliche Ukraine-Krieg, die explodierenden Rohstoff- und Energiepreise, die emporschnellende Inflation, die steigenden Zinsen, die anhaltenden Lieferengpässe sowie die erneuten Corona-Ausbrüche in China drücken derzeit auf die Stimmung der Anleger und belasten die Märkte.
Die oben genannten Faktoren haben allerdings nicht nur Auswirkungen auf die Stimmung, sondern auch auf die Realwirtschaft. So leiden beispielsweise der E-Commerce und die Halbleiter verarbeitende Industrie unter den Lieferengpässen, während Akku-Hersteller mit hohen Rohstoffpreisen zu kämpfen haben.
Aktuell gibt es bereits erste Hinweise, dass auf Sicht der nächsten Monate eine Rezession sowohl in Europa als auch in den USA möglich ist. Erst kürzlich lag die Rendite der 2-jährigen US-Staatsanleihen über derjenigen der 10-jährigen – normalerweise sind die Zinsen am langen Ende höher als am kurzen. Solch eine inverse Zinsstruktur gilt gewöhnlich als Vorbote für eine Rezession.
Die derzeitige Gemengelage verunsichert viele Anleger und führt dazu, dass risikoreichere Positionen in Growth-Titeln verkauft und in Value-Aktien umgeschichtet werden.
Vor allem Unternehmen aus mehr oder weniger konjunkturunabhängigen Branchen sowie aus Sektoren, die von steigenden Zinsen und Rohstoffpreisen profitieren, sind im laufenden Jahr bislang gefragt.
Sind Growth-Aktien unattraktiv?
All die oben genannten Punkte lassen Growth-Aktien derzeit weniger attraktiv erscheinen. Heißt das nun Finger weg von den beliebten Wachstumswerten?
Keineswegs. Es steht zwar außer Frage, dass Wachstumsaktien in den letzten Monaten stark unter Druck geraten sind. Doch einige der in der Vergangenheit hoch gehandelten Tech-Unternehmen können jetzt zu vernünftigen Bewertungen erworben werden. Eine Position in einem dieser Titel könnte daher heute ein besseres Risiko-Ertrags-Profil bieten als noch vor ein paar Monaten. Zudem sind Megatrends wie z. B. Digitalisierung, E-Mobilität und Cybersicherheit nach wie vor intakt und dürften in Zukunft weiter an Fahrt aufnehmen.
Anleger müssen derzeit allerdings mit einer hohen Volatilität leben. Diese wird durch das zyklische Agieren kurzfristig orientierter Marktteilnehmer verstärkt, d. h. diese Marktteilnehmer kaufen, wenn die Kurse steigen, und verkaufen, wenn sie fallen.
Des Weiteren sollten Anleger bei der Auswahl der Titel sehr selektiv vorgehen. Die Zeit, in der die Flut von billigem Geld alle Boote hat steigen lassen, dürfte fürs Erste vorbei sein. Investitionen in Growth-Aktien, die weiterhin deutlich wachsen, die ein tragfähiges Geschäftsmodell vorweisen, deren Verschuldung niedrig ist und die möglicherweise bereits Gewinne erzielen, könnten mittel- bis langfristig lohnend sein.
Die detaillierte Analyse und Identifizierung aussichtsreicher Unternehmen ist jedoch sehr komplex und setzt einiges an Sachkenntnissen voraus. Anleger, die weder die Zeit noch die Expertise haben, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, sollten daher auf einen aktiv gemanagten Growth Fund zurückgreifen. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass in ein diversifiziertes Portfolio über verschiedene Branchen und Regionen investiert wird.
