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Einleitung

Im ersten Halbjahr 2023 mussten sich die Anleger mit einer aggressiven geldpolitischen Straffung seitens der US-Notenbank (Fed), mehreren aufeinanderfolgenden Quartalen mit sinkenden Unternehmensgewinnen, zwei der größten Bankenpleiten in der Geschichte der USA, dem Beinahe-Zahlungsausfall der US-Bundesregierung und einhelligen Prognosen in Bezug auf Rezessionen in den USA und weltweit auseinandersetzen.

Ich habe vor diesem Hintergrund eine Podiumsdiskussion unserer führenden Wirtschaftsexpertinnen und ‑experten moderiert, an der John Bellows, Portfolio Manager bei Western Asset, Sonal Desai, Chief Investment Officer bei Franklin Templeton Fixed Income, Michael Hasenstab, Chief Investment Officer bei Templeton Global Macro, und Francis Scotland, Director of Research bei Brandywine Global, teilnahmen. Dabei ging es mir vor allem um folgende Frage: Was kommt im zweiten Halbjahr 2023 auf die Anleger zu?

Meine wichtigsten Erkenntnisse aus der Diskussionsrunde habe ich hier zusammengefasst:

  • Die Inflation wird uns auch in den nächsten 6–12 Monaten noch beschäftigen. Es gibt einige Indikatoren, die auf eine nachlassende Inflation hinweisen und darauf, dass die Wirtschaft weltweit in eine Phase der Disinflation eintritt, in der die Inflationsrate sinkt und die Preise nicht mehr so schnell steigen. Dass die Inflation nicht zurückgeht, ist ein Risiko, und die Kernpreisinflation erweist sich als hartnäckig. Allerdings müssen die verzögerten Auswirkungen der strafferen Geldpolitik erst noch voll zum Tragen kommen. Das Risiko einer Deflation, bei der die Preise tatsächlich fallen, ist geringer.
  • Die Inflation ist zwar in vielen Ländern zurückgegangen, aber die wirtschaftliche Erholung verläuft nicht überall auf der Welt gleich.
  • China fällt es schwer, Quellen für Wirtschaftswachstum zu finden. Nachdem das Land sich nach der Corona-Krise wieder geöffnet hatte, blieb der erwartete Wachstumsschub aus. Die chinesische Regierung wird wahrscheinlich mit weiteren makroökonomischen Konjunkturmaßnahmen eingreifen.
  • Die Umstrukturierung der Lieferketten und Friendshoring dürften in einigen Ländern Wachstumschancen eröffnen. Die Umstrukturierung der Lieferketten führt zu steigenden Investitionen in Asien, insbesondere in Ländern wie Indien und Indonesien. Auch Länder wie Mexiko und Kanada dürften von dieser Entwicklung profitieren.
  • Japan hat von den jüngsten Inflationssteigerungen profitiert, nachdem das Land seit Jahrzehnten mit niedrigem Wirtschaftswachstum zu kämpfen hat. Durch das derzeitige Inflations- und Wachstumsniveau haben sich Möglichkeiten ergeben, dass die Unternehmen ihre liquiden Mittel einsetzen. Japan hat überdies von der höheren Erwerbsbeteiligung der Frauen profitiert, die einen Arbeitskräftemangel verhindert und damit das Wachstum begünstigt hat.
  • Die anstehenden Wirtschaftsdaten werden wahrscheinlich weitere Hinweise auf eine Verlangsamung des Wachstums und eine anhaltende Disinflation in den USA liefern. Zwar rechnen die Märkte schon seit einiger Zeit mit einer Rezession, doch die Stärke der US-Verbraucher wird eine tiefgreifende Rezession wahrscheinlich verhindern.
  • Wo werden sich die Zinsen einpendeln? Es scheint Uneinigkeit darüber zu herrschen, wie schnell die Zinsen in Zukunft sinken werden. Am Finanzmarkt werden Zinssenkungen in der Erwartung eingepreist, dass die Inflation auf das Niveau vor der Pandemie zurückkehrt. Wir sind jedoch der Meinung, dass die 10 Jahre nach der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 eine Ausnahmesituation darstellten und dass die Inflation wahrscheinlich langfristig wieder auf das Niveau vor der Finanzkrise zurückkehren wird (die Kerninflation in den USA lag zwischen 1958 und 2008 im Durchschnitt bei etwa 4 % und von 2009 bis 2019 bei knapp 2 %).1
  • Ein weiterer Anstieg der Realzinsen ist wahrscheinlich. Die Fed hat gerade eine weitere Zinsanhebung beschlossen und es wird erwartet, dass sie die Zinsen in den kommenden Quartalen über der Marke von 5 % halten wird. Zwar wird damit gerechnet, dass sich die Inflation im gleichen Zeitraum abschwächt oder zurückgeht, aber das Ergebnis ist, dass die Realzinssätze (Nominalzinssätze minus Inflation) steigen, selbst wenn die Nominalzinssätze nicht steigen. Daraus ergibt sich eine positivere Rendite für die Anleger.
  • Welche Chancen eröffnen sich?
  • Festverzinsliche Anlagen gelten wieder als gute Instrumente für die Diversifizierung von Portfolios. Anders als im Jahr 2022, als sowohl festverzinsliche Anlagen als auch Aktien zusammen negative Renditen erzielten, ist die Korrelation zwischen festverzinslichen Anlagen, Aktien und anderen Risikoanlagen derzeit gering.
  • Eine selektive Erhöhung der Duration verspricht eine attraktive Gesamtrendite. Wir sind der Ansicht, dass eine neutrale bis kürzere Duration für den Rest des Jahres 2023 ein besseres Risiko-Ertrags-Profil bietet. Die aktuellen Renditeniveaus und der erwartete Höchststand der Zinssätze lassen auf eine positive Gesamtrendite hoffen.
  • Hochverzinsliche Anleihen sind attraktiv bewertet, da die Anleger hinsichtlich der Wirtschaft noch vorsichtig sind. Für aktive Anleger ergeben sich bei den aktuellen Erträgen hohe Renditen. Sie müssen jedoch selektiv vorgehen, da bei einigen Unternehmensanleihen niedrigerer Qualität ein Ausfallrisiko besteht und möglicherweise eine Ausweitung der Credit-Spreads droht.
  • Schwellenländer können eine Rolle bei der Diversifizierung spielen. Viele Schwellenländer haben Stärke bewiesen, unter anderem, weil sie die Emission von Schuldtiteln strenger beschränkt haben als die Industrieländer. Zudem haben sie umgehend reagiert und die Zinsen noch vor der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Fed angehoben, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Angesichts der attraktiven Renditen vieler Schwellenländeranleihen ist diese Anlageklasse eine weitere Renditequelle, deren Wertentwicklung nicht unbedingt mit dem Rest der Welt synchron verlaufen wird.

Zwar waren die letzten sechs Monate für die Anleger in Bezug auf die Zinssätze und die sich ändernden Chancen von sehr hoher Volatilität geprägt. Allerdings sind wir sind der Auffassung, dass die Fed die Inflation zunehmend unter Kontrolle bringen wird und die Zinssätze länger als von einigen erwartet höher halten könnte. Die Wachstumschancen unterscheiden sich in Abhängigkeit von Region, Sektor und Laufzeit. Festverzinsliche Wertpapiere korrelieren erneut nur geringfügig mit anderen Risikoanlagen, was eine potenzielle Diversifizierung und einen erhöhten Portfolioschutz ermöglicht.

Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Franklin Templeton Institute



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