AUTOREN

Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Head of Franklin Templeton Institute
Dieser Artikel wurde ursprünglich im LinkedIn Newsletter „Global Market Perspectives“ von Stephen Dover veröffentlicht. Folgen Sie Stephen Dover auf LinkedIn, wo er seine Gedanken und Kommentare sowie seinen Newsletter mit globalen Marktperspektiven veröffentlicht.
Die aktuellen Verhandlungen über die Schuldenobergrenze sorgen zwar kurzfristig für Volatilität an den Kapitalmärkten, aber das Thema der steigenden Staatsverschuldung ist eine langfristige Angelegenheit mit potenziell langfristigen Auswirkungen.
Anstatt darüber zu spekulieren, wie sich die Politik in naher Zukunft entwickeln wird, glauben wir, dass es wichtiger ist, die Ursachen der hohen Staatsverschuldung zu erforschen und uns zu fragen, was dies langfristig für Wachstum, Inflation und andere Fundamentaldaten, die die Asset-Preise beeinflussen, bedeuten könnte. Was genau ist der Grund für die explosionsartige Zunahme der Staatsverschuldung in den letzten 15 Jahren? Liegt die Ursache in den steigenden Staatsausgaben, den sinkenden Steuereinnahmen oder in beidem? Wie erhebt die US-Regierung Steuern und wofür gibt sie diese aus? Gibt es einen Präzedenzfall für den Abbau der Staatsverschuldung, und wenn ja, welche Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Fundamentaldaten sind zu erwarten?
Warum ist der Schuldenstand der USA so schnell gestiegen?
Seit 2007 ist die Verschuldung der US-Regierung sprunghaft angestiegen, sei es in US-Dollar oder in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgedrückt. Beim Ausbruch der globalen Finanzkrise Ende 2007 belief sich die Verschuldung der US-Regierung auf 9,2 Billionen USD bzw. 62,7 % des BIP. Anderthalb Jahrzehnte später, zum Jahresende 2022, hatte die Gesamtverschuldung der US-Regierung 31,4 Billionen USD bzw. 120,2 % des BIP erreicht.1
Die USA haben in den letzten fünfzehn Jahren stets Haushaltsdefizite verzeichnet, aber zwei gravierende Ereignisse – die globale Finanzkrise von 2008–2009 und die Pandemie von 2020–2021 – haben die US-Haushaltsdefizite gewaltig in die Höhe getrieben.
Abbildung 1: Ausgaben und Einnahmen der US-Regierung in Prozent des BIP 1968–2033
US-Staatshaushalt als prozentualer Anteil am BIP
1968–2033 (geschätzt)

Stand: Mai 2023. Quellen: US Congressional Budget Office, Macrobond. Wichtige Mitteilungen und Nutzungsbedingungen des Datenanbieters sind verfügbar unter www.franklintempletondatasources.com. Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Prognosen, Schätzungen oder Hochrechnungen als richtig erweisen.
Mit Blick auf den Gesamtanstieg der US-Staatsverschuldung seit 2007 (nämlich 22,3 Billionen US-Dollar) entfallen 63 % dieser Summe auf die Haushaltsdefizite, die im Zuge der globalen Finanzkrise und der Pandemie entstanden sind.2 Anders ausgedrückt: Hätte es die globale Finanzkrise und die Pandemie nie gegeben, würde die heutige Verschuldung der US-Regierung realistischen Schätzungen zufolge im Verhältnis zum BIP unter 100 % liegen und nicht bei 120 %.3
Der starke Anstieg der Defizite hängt mit der globalen Finanzkrise und den Pandemieschocks zusammen, die jeweils sowohl steigende Ausgaben als auch sinkende Steuereinnahmen zur Folge hatten. Allerdings trugen in der Zeit der globalen Finanzkrise Mehrausgaben und sinkende Steuereinnahmen in etwa gleichem Maße zum resultierenden Haushaltsdefizit bei, während im Verlauf der Pandemie vor allem höhere Staatsausgaben das Bild prägten. Ferner ist erkennbar, dass die sinkenden Staatsausgaben und die steigenden Steuereinnahmen des Staates (in Prozent des BIP) seit 2021 zu einer schnellen und deutlichen Verringerung des Haushaltsdefizits in den letzten 18 Monaten geführt haben.
Eine langfristigere Sichtweise
Es lohnt sich auch, diese Entwicklungen im langfristigen Kontext der US-Haushaltspolitik zu betrachten.
Die Ausgaben des Staates haben in den letzten 60 Jahren meist die Einnahmen überstiegen, sodass Haushaltsdefizite an der Tagesordnung waren. Allerdings sind einige andere Trends und Entwicklungen erwähnenswert.
Erstens lassen sich in den letzten vier Jahrzehnten zwei unterschiedliche Steuer- und Ausgabenmodelle feststellen.
Von 1983 bis 2001 haben die USA nach und nach eine Politik der Ausgabenbegrenzung verfolgt, zumindest im Verhältnis zur Wachstumsrate der Wirtschaft. Folglich sank der Anteil der US-Staatsausgaben am Volkseinkommen allmählich von 22,9 % des BIP (1983) auf 17,7 % (2001).
Beim zweiten Modell – von 2000 bis 2020 – wechselten die Vereinigten Staaten zu einem System mit niedrigeren Steuern. In diesen zwanzig Jahren sind die Steuereinnahmen der US-Regierung (als Anteil des Volkseinkommens) kontinuierlich von 20,0 % (2000) auf 16,2 % (2020) gesunken.
In der ersten Phase – und insbesondere in den 1990er Jahren – führten sinkende Staatsausgaben und steigende Steuereinnahmen (nach 1993) zu einem deutlichen Rückgang und schließlich zur Überwindung des Haushaltsdefizits der US-Regierung. Von 2000 bis zum Ausbruch der Pandemie hingegen fielen die steigenden Staatsausgaben mit den sinkenden Steuereinnahmen zusammen und führten zu chronischen Haushaltsdefiziten.
Kurz gesagt: Seit den frühen 1980er Jahren verfolgte die US-Regierung zunächst eine Politik der Haushaltsdisziplin, aber seit dem Jahr 2000 hat sie chronische Defizite aufgebaut. Dies ist sowohl auf tendenziell steigende Ausgaben als auch auf sinkende Steuereinnahmen des Staates im Verhältnis zum Volkseinkommen zurückzuführen.
Wachstum und Defizitabbau sind vereinbar
Diese Trends sind aus mehreren Gründen interessant. Erstens ist es durchaus möglich, ein starkes Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten und gleichzeitig eine Haushaltskonsolidierung durchzuführen. Im ersten Teilabschnitt des Zeitraums (1983–2001) verzeichnete die US-Konjunktur ein schnelles Wachstum, insbesondere von 1995–2001. Das schnelle Wachstum kam der Haushaltskonsolidierung entgegen, wobei sowohl die Ausgabenbegrenzung (ab 1983) als auch die steigenden Steuereinnahmen (ab 1993) zum Defizitabbau beitrugen.
Dieser Aspekt ist besonders hervorzuheben. Die Begrenzung oder der Abbau der aufgelaufenen Staatsschulden muss nicht auf Kosten von Wachstum und höherem Lebensstandard gehen.
Aber wie der zweite Teilabschnitt des Zeitraums auch zeigt, führt Wachstum allein nicht unbedingt zu einem Abbau von Defizit und Schulden. In den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts brachten selbst Zeiten mit passablem Wachstum und außergewöhnlich niedriger Arbeitslosigkeit nicht die gleichen fiskalischen Vorteile wie in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts.
Ein Grund dafür waren neben teuren Kriegen auch die stetig steigenden Staatsausgaben für Leistungen im Alter, einschließlich der Gesundheitsversorgung. Der große Unterschied zu den Entwicklungen in den 1990er Jahren bestand jedoch darin, dass die Steuereinnahmen des Staates im Verhältnis zum BIP tendenziell zurückgingen. Umfangreiche Steuersenkungen im Jahr 2001 und erneut im Jahr 2017 haben zu diesem Ergebnis beigetragen. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu beachten, dass die beträchtlichen Senkungen der Einkommens- und Körperschaftssteuersätze die Steuereinnahmen des Staates insgesamt nicht erhöht haben.
Wohin fließen unsere Ausgaben und wie bezahlen wir sie?
Im Zusammenhang mit dem politischen Gerangel um die Haushaltspolitik lohnt sich ein Blick auf die Ausgaben der US-Regierung und die Steuern, die sie erhebt.
Auf der Einnahmenseite entfällt der Großteil der Steuereinnahmen der US-Regierung auf die Einkommens- und Lohnsteuer natürlicher Personen. Im Jahr 2022 zum Beispiel stammten 84 % der Steuereinnahmen der US-Regierung aus der Einkommenssteuer und der Lohnsteuer zusammengenommen. Der Anteil der Körperschaftssteuern an den Gesamteinnahmen des Staates betrug dagegen 8,7 %.
Was die Ausgaben betrifft, so sind nur 28 % der Gesamtausgaben der US-Regierung Ermessensausgaben, während 72 % obligatorische Ausgaben sind.4 Bei den Ermessensausgaben handelt es sich um Gelder, die der Kongress jährlich bewilligen muss und die der Präsident dann per Gesetz genehmigt. Zu den Ermessensposten gehören Ausgaben für Verteidigung, Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft und internationale Angelegenheiten. Obligatorische Programme hingegen sind durch bestehende Gesetze verankert und werden automatisch ohne jährliche legislative Ermächtigung umgesetzt. Beispiele für obligatorische Ausgaben sind die Sozialversicherung, die Krankenversicherungsprogramme Medicare und Medicaid sowie Zinsen für die Staatsverschuldung.
Abbildung 2: Die obligatorischen Ausgaben als Prozentsatz des BIP sind während der Pandemie in die Höhe geschnellt. Das Haushaltsbüro des US-Kongresses (US Congressional Budget Office) rechnet damit, dass die obligatorischen Ausgaben und die Nettozinsen als Prozentsatz des BIP in den nächsten zehn Jahren allmählich ansteigen werden.
Haushaltsausgaben der USA
1968–2033 (geschätzt)

Stand: Mai 2023. Quellen: US Congressional Budget Office, Macrobond. Wichtige Mitteilungen und Nutzungsbedingungen des Datenanbieters sind verfügbar unter www.franklintempletondatasources.com. Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Prognosen, Schätzungen oder Hochrechnungen als richtig erweisen.
Während theoretisch über alle Ausgaben verhandelt werden kann, werden jährliche Mittelzuweisungen nur für Ermessensprogramme beschlossen (also für lediglich etwas mehr als ein Viertel aller Ausgaben). Innerhalb der Ermessensausgaben (1,6 Billionen USD im Jahr 2021) sind die größten Posten die Verteidigung (ca. 40 % des Gesamtbetrags), das Gesundheitswesen, die Bildung und Leistungen für Veteranen. Am anderen Ende der Skala finden sich Bereiche wie Wissenschaft, internationale Angelegenheiten oder Energiepolitik, deren Anteil an den gesamten Staatsausgaben lediglich 3 % oder weniger ausmacht.
Die Auswirkung von Zinszahlungen
In den vergangenen 15 Jahren hielten die sehr niedrigen Zinssätze die Höhe der Zinszahlungen zur Bedienung der Staatsschulden meist im Rahmen. Unmittelbar vor der Pandemie beliefen sich beispielsweise die jährlichen Bruttoausgaben der US-Regierung für die Zahlung von Zinsen auf die Staatsschulden auf etwa 500 Milliarden USD. Nur drei Jahre später hat sich dieser Wert aufgrund einer deutlich höheren Verschuldung und steigender Zinssätze nahezu verdoppelt und beträgt nun 930 Milliarden USD.5 Nach Schätzungen des US-Finanzministeriums machen die Kosten für den Schuldendienst der US-Regierung im Jahr 2023 13 % der Gesamtausgaben der US-Regierung aus.6
Steigende Zinszahlungen sind eine Herausforderung für den Staatsetat. Bei ansonsten unveränderten Bedingungen verringern sie den Spielraum für Ausgaben in anderen Bereichen.
Abbildungen 3 und 4: Höhere Zinszahlungen zu erwarten
Gesamthaushaltsbilanz und Nettozinsaufwendungen der USA
1968–2033 (geschätzt)

Stand: Mai 2023. Quellen: US Congressional Budget Office, Macrobond. Wichtige Mitteilungen und Nutzungsbedingungen des Datenanbieters sind verfügbar unter www.franklintempletondatasources.com. Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Prognosen, Schätzungen oder Hochrechnungen als richtig erweisen.
US-Zinszahlungen im Verhältnis zu BIP und Einnahmen
2023–2026 (geschätzt)

Stand: Mai 2023. Quellen: US Congressional Budget Office, Macrobond. Wichtige Mitteilungen und Nutzungsbedingungen des Datenanbieters sind verfügbar unter www.franklintempletondatasources.com. Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Prognosen, Schätzungen oder Hochrechnungen als richtig erweisen.
Gleichzeitig ist es erwähnenswert, dass Zinsaufwendungen auch eine Einnahmequelle für viele Amerikaner sind, nämlich direkt und indirekt über Rentensparprogramme. Einer der Nettobegünstigten ist beispielsweise die Sozialversicherung, die überschüssige Einnahmen (dank lohnbezogener Abgaben) gegenüber den laufenden Ausgaben in US-Schatzanweisungen und US-Staatsanleihen investiert.
Fazit
Aus unserer Analyse ergeben sich fünf wesentliche Schlussfolgerungen.
Erstens: Der rasante Anstieg der US-Verschuldung seit dem Jahr 2000 ist vor allem auf zwei gravierende wirtschaftliche Schocks zurückzuführen, nämlich die globale Finanzkrise und die Pandemie. Ohne diese Katastrophen wäre die Staatsverschuldung weitaus geringer (vielleicht sogar um ein Fünftel geringer) und die Debatte über die Haushaltspolitik der USA wäre womöglich nicht ganz so hitzig.
Zweitens: Die höheren Zinsausgaben für die US-Staatsschulden machen einen zunehmenden Anteil der Staatsausgaben aus. Im Laufe der Zeit werden die Zinsausgaben wahrscheinlich die Staatsausgaben beschneiden und/oder eine Erhöhung der staatlichen Steuereinnahmen erforderlich machen.
Drittens: Die Ursachen für die steigende Staatsverschuldung in diesem Jahrhundert sind eine Kombination aus höheren Staatsausgaben und sinkenden Steuereinnahmen des Staates. Dies steht in deutlichem Widerspruch zu den fast zwei Jahrzehnten der schrittweisen Haushaltskonsolidierung in den frühen 1980er Jahren bis 2001. Diese Entwicklung verdeutlicht die grundsätzliche politische Herausforderung, wie die Ausgaben finanziert werden können, die die Amerikaner anscheinend brauchen oder wollen.
Viertens: Eine langfristige Haushaltskonsolidierung muss nicht im Widerspruch zu anhaltend starkem Wachstum und hoher Beschäftigung stehen. Ein kräftiges Wachstum ist sogar mit ziemlicher Sicherheit eine wirtschaftliche und politische Grundvoraussetzung für den Defizit- und Schuldenabbau.
Fünftens: Angesichts der Tatsache, dass eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung am wirksamsten mit einem anhaltend starken Wachstum einhergeht, stellt sich die Frage, wie letzteres erreicht werden kann. Diese Frage ist umso dringlicher, wenn man bedenkt, dass die Globalisierung an Schwung verliert und das Produktivitätswachstum (trotz rasanter Innovationen) schwach ist. Die schwierige Lage bei der Schuldenbekämpfung wird mit ziemlicher Sicherheit neue Initiativen zur Steigerung der Produktivität erfordern.

Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Franklin Templeton Institute
- Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis, Office of Management and Budget.
- Die Gesamtstaatsverschuldung ist von insgesamt 9,1 Billionen USD im Jahr 2007 um 22,3 Billionen USD auf 31,4 Billionen USD im Jahr 2022 angeschwollen. Von 2008–2013 (globale Finanzkrise) und von 2020–2021 (Pandemie) betrug das kumulative Volumen der US-Haushaltsdefizite 14 Billionen USD bzw. 63 % des gesamten Anstiegs der Verschuldung seit 2007.
- So läge die Gesamtverschuldung des Staates in Prozent des BIP heute bei 93 %, wenn die Hälfte der ausgewiesenen Haushaltsdefizite nach der globalen Finanzkrise und der Pandemie nie zustande gekommen wären.
- Quelle: Peter G. Peterson Foundation.
- Quellen: Federal Reserve Bank of St. Louis, Bureau of Economic Analysis.
- Quelle: US-Finanzministerium.
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