AUTOREN

Sonal Desai, Ph.D.
Chief Investment Officer,
Portfolio Manager
Die jüngsten US-Wirtschaftsdaten geben der US-Notenbank (Fed) meines Erachtens grünes Licht für Zinssenkungen. Der mit Spannung erwartete Lockerungszyklus wird daher höchstwahrscheinlich auf der nächsten Fed-Sitzung im September beginnen, und die Aussicht darauf hat die Finanzmärkte sofort in Aufregung versetzt. Wie ich jedoch schon seit geraumer Zeit betone, ist die wirklich wichtige Frage, welcher Art der bevorstehende Lockerungszyklus sein wird: Wie lange wird er andauern, in welchem Tempo wird er ablaufen und welchen Endpunkt wird der Leitzins erreichen? Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir eine langsame Lockerung der Geldpolitik erleben werden, mit Zinssenkungen in einer Größenordnung von insgesamt 125–150 Basispunkten. Der Leitzins wird dann bei 4% oder über 4% liegen – deutlich höher als von vielen Analysten derzeit erwartet.
Der jüngste Arbeitsmarktbericht dürfte für die Fed den Ausschlag geben. In den USA lag die Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft im Juli bei schwachen 114.000, was auf eine nachlassende Dynamik bei den Neueinstellungen hindeutet. In Verbindung mit einem Anstieg der Erwerbsquote führte dies dazu, dass die Arbeitslosenquote von zuvor 4,1% auf 4,3% stieg. Das sind eindeutig schwache Zahlen, auch wenn unklar ist, inwieweit sie von Hurrikan Beryl beeinflusst sind, der im Laufe des Monats die Golfküste heimsuchte. Der Wechsel von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung hat sich verlangsamt, und das Lohnwachstum verringerte sich auf 0,2% gegenüber dem Vormonat, während die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung zunahm.
Die Inflation liegt zwar noch nicht wieder auf Zielniveau (die Kerninflation der persönlichen Konsumausgaben lag im Juni bei 2,6%), doch sie bleibt in Reichweite, und die Abkühlung des Lohnwachstums dürfte das Risiko eines Wiederanstiegs verringern. Insgesamt hat sich die Risikobilanz so weit verändert, dass es für die Fed angebracht erscheint, mit einer Lockerung der Geldpolitik zu beginnen, um eine schnellere Verschlechterung der Lage am Arbeitsmarkt zu verhindern.
Wie angesichts eines so bedeutenden Wendepunkts zu erwarten ist, beeilen sich einige Anleger und Analysten nun, eine sehr drastische geldpolitische Korrektur zu prognostizieren. Manche rechnen mit einer Senkung um 50 Basispunkte im September, andere erwarten, dass der Leitzins in schnellem Tempo auf knapp über 3% im nächsten Jahr sinken wird. Aus meiner Sicht rechtfertigt der gegenwärtige wirtschaftliche Ausblick diese Prognosen nicht.
Überstürzte Einpreisung einer drastischen geldpolitischen Korrektur an den Märkten
2023–2024

Quellen: New York Fed, CME Group, Macrobond. Analyse von Franklin Templeton Fixed Income Research. Stand: 5. August 2024. Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Prognosen, Schätzungen oder Hochrechnungen als richtig erweisen.
VPI = Verbraucherpreisindex FOMC = Offenmarktausschuss der Fed
Versuchen wir einmal, die Dinge zu relativieren. Die Tage des Überschwangs im Vorfeld der globalen Finanzkrise ausgenommen, lag die Arbeitslosenquote in den USA in den zehn Jahren zuvor im Durchschnitt bei knapp 5%. Die inflationsneutrale Arbeitslosenquote (NAIRU) mag in jüngster Zeit gesunken sein, aber eine Arbeitslosenquote von unter 4,5% deutet immer noch auf einen recht robusten Arbeitsmarkt hin. Die Abschwächung erfolgte bisher nur sehr langsam und entspricht einem Rückgang der Neueinstellungen, die man in einer Wirtschaft, die bereits die Vollbeschäftigung erreicht hat, erwarten würde.
Die Produktionsseite der Wirtschaft lässt Anzeichen einer Abkühlung erkennen, die sich insbesondere in schwachen Werten des ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe und des Einkaufsmanagerindex widerspiegelt. Der Konsum hingegen bleibt auf einem guten Niveau. Die Einzelhandelsumsätze im Juni übertrafen die Erwartungen und die persönlichen Ausgaben stiegen schneller als im Vormonat. Mit anderen Worten: Der wichtigste Wachstumsmotor der US-Wirtschaft schnurrt. Der ISM-Dienstleistungsindex legte im Juli wieder recht kräftig zu. Hinzu kommt die Fiskalpolitik, die für die gegenwärtige Phase des Konjunkturzyklus außerordentlich locker ist und in absehbarer Zeit wohl kaum gestrafft werden dürfte. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner sprechen sich für hohe Ausgaben aus und scheinen die Absicht zu haben, das Haushaltsdefizit so lange zu erhöhen, wie es die Märkte zulassen.
Das Wachstum der Konsumausgaben für Dienstleistungen bleibt robust
2000–2024

Quellen: BEA, Macrobond. Analyse von Franklin Templeton Fixed Income Research.
Stand: 5. August 2024. PCE = persönliche Konsumausgaben
Für die Fed ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Erstens: Es besteht derzeit kein Grund zur Panik. Wie die Daten bestätigen, hat die Fed ihre Karten gut ausgespielt: Sie hat die Widerstandsfähigkeit des Arbeitsmarktes genutzt und die Geldpolitik lange genug straff gehalten, bis sich die Disinflation auf gutem Weg befand. Folglich kann sie ihren Lockerungszyklus nun in einer Situation in Gang setzen, in der die Wirtschaftstätigkeit noch nicht in die Gefahrenzone geraten ist. Anders ausgedrückt: Ich glaube nicht, dass die Fed der Entwicklung hinterherläuft – auch wenn einige Analysten und Anleger anderer Meinung sind.
Zweitens: Die extrem lockere Fiskalpolitik birgt weiterhin die Gefahr, dass die Inflation ansteigt. Eine drastische und schnelle Lockerung des geldpolitischen Kurses bei einer weiterhin sehr lockeren Fiskalpolitik würde die Finanzmärkte sofort in Wallung bringen; und sollte sich die Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit als sehr moderat erweisen, könnte die Disinflation zum Stillstand kommen und die Fed damit konfrontiert sein, dass sich die Inflationsraten deutlich über dem Zielwert festsetzen.
Für mich deutet all dies darauf hin, dass die Fed den Lockerungszyklus im nächsten Monat mit einer Standardsenkung um 25 Basispunkte einleiten wird. Eine Senkung um 50 Basispunkte könnte Panik signalisieren und die Anleger glauben machen, dass die Fed in der Tat befürchtet, der Entwicklung hinterherzulaufen. Zudem legt die derzeitige Situation nahe, dass eine moderate, langsame Lockerung der Geldpolitik bis zu einem Leitzins von etwa 4% ausreichen wird, um die Wirtschaft auf Kurs zu halten und eine Rezession zu verhindern.
Sollte die Wirtschaft sich schneller abschwächen als von mir erwartet, wäre die Fed in einer guten Position, um mit stärkeren Zinssenkungen zu reagieren. Vor dem Hintergrund der lockeren Fiskalpolitik dürfte das ausreichen, um rasch wieder aus einer Rezession herauszukommen. In jedem Fall bleibt mein langfristiger Ausblick unverändert: Ich sehe ein neues langfristiges Gleichgewicht, bei dem die kurzfristigen Zinssätze näher an ihrem langfristigen Durchschnitt von 2% liegen als an dem Niveau nahe null der jüngsten Vergangenheit.
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