AUTOREN

Dina Ting, CFA
Head of Global Index Portfolio Management,
Franklin Templeton ETFs
Durch die neuen, hohen US-Zölle auf indische Waren, die im August als Vergeltungsmaßnahme für den Kauf von russischem Öl durch Neu-Delhi auf 50 % verdoppelt wurden, ist die Unsicherheit für den Subkontinent weiter gestiegen. Dennoch könnten Anleger, die bedeutende Gewichtungen in internationalen Aktien wünschen, das derzeitige Umfeld in Indien für eine eingehendere Analyse in Betracht ziehen.
Eine bemerkenswerte Ausnahme von den Zöllen gilt für bestimmte hochwertige Smartphones – eine Kategorie, in der Indien als Produktionsstandort eine immer wichtigere Rolle spielt. Selbst wenn diese Ausnahmeregelung später zurückgezogen werden sollte, gehen Analysten davon aus, dass Indien angesichts des Umfangs der jüngsten Lieferketteninvestitionen ein wichtiges Produktionszentrum für Smartphones mit Zielmarkt USA bleiben wird.
Die Kombination aus den unseres Erachtens attraktiveren Bewertungen indischer Aktien, soliden Fundamentaldaten des Finanzsektors, strukturellen Technologieinvestitionen und einer sich wandelnden Rolle in den globalen Lieferketten veranlasst viele dazu, dies als günstigen Einstiegszeitpunkt in diesen dynamischen Markt zu betrachten.
Neben den Zollrisiken, die die Wettbewerbsfähigkeit Indiens im Export beeinträchtigen könnten, bestehen weiterhin strukturelle Probleme im Industriesektor, auch wenn Dienstleistungen und Landwirtschaft nach wie vor das Wachstum stärken. In Anbetracht der laufenden Verhandlungen zwischen den USA und Indien und der bekannten Neigung von Präsident Trump, seine Handelspolitik auf den Kopf zu stellen, bleibt aber unklar, ob die höheren Zölle letztendlich Bestand haben werden. Wenn sie aufgehoben oder abgeschwächt werden, könnten sie eher als vorübergehender Gegenwind denn als strukturelle Bedrohung angesehen werden. Auf die USA entfallen etwa 20 % der Warenexporte Indiens.1
Als Reaktion darauf hat Premierminister Narendra Modi verschiedene politische Reformen vorangetrieben, um die Widerstandsfähigkeit des Landes zu stärken, darunter eine Überarbeitung der Verbrauchssteuer, die die Auswirkungen der Zölle abfedern soll. Die erneute Fokussierung der Regierung auf Infrastrukturinvestitionen und konsumorientierte Konjunkturmaßnahmen soll ebenfalls dazu beitragen, die wirtschaftliche Dynamik zu fördern und ein nachhaltiges Wachstum zu unterstützen.
Die für Ende September geplanten Senkungen der indischen Steuer auf Waren und Dienstleistungen (GST) dürften unserer Meinung nach einen erheblichen finanzpolitischen Impuls darstellen, der die Auswirkungen der Zölle dämpfen sollte. Zusammen mit den direkten Steuererleichterungen vom Februar, den Zinssenkungen und der nachlassenden Inflation könnten diese Kürzungen mehrere Möglichkeiten für eine Belebung der Nachfrage schaffen. Eine Senkung der GST auf lebensnotwendige Güter könnte auch die Inflationsrate im Einzelhandel abmildern, vor allem wenn die Einsparungen an die Verbraucher weitergegeben werden. Insbesondere gehen wir davon aus, dass sich diese Auswirkungen bereits in den Unternehmensgewinnen des nächsten Quartals niederschlagen könnten. Zu den direkten Begünstigten zählen die Automobilindustrie, schnell drehende Konsumgüter und Versicherungen, doch könnte der allgemeine Konsumaufschwung auch anderen Branchen wie dem zyklischen Einzelhandel und Nichtbank-Finanzdienstleistungen zugutekommen.
Vor dem Hintergrund der sich wandelnden Handelsdynamik kam Premierminister Modi vor Kurzem am Rande des Gipfeltreffens der Shanghai Cooperation Organization mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping zusammen. Dies war Modis erster Besuch in China seit sieben Jahren. Die Regierungschefs führten verschiedene Gespräche, in denen sie ihre Bemühungen um eine stärkere Partnerschaft sowie Indiens Fähigkeit zur Pflege strategischer bilateraler Optionen zum Ausdruck brachten.
Erfreulicherweise wird im aktuellen Weltwirtschaftsausblick des IWF für Indien sowohl für 2025 als auch für 2026 ein BIP-Wachstum von 6,5 % prognostiziert. Damit liegt Indien vor China und vielen anderen Ländern der Region (siehe Abbildung 1 unten). Diese nachhaltigen Wachstumsaussichten in Verbindung mit den laufenden Strukturreformen unterstreichen Indiens Status als die wachstumsstärkste große Volkswirtschaft der Welt.
Abbildung 1: Indien an der Spitze der Wachstumsprognosen für Schwellenländer 2025
Geschätztes BIP-Wachstum der Schwellenländer 2025 im Vergleich zu den Industrieländern

*G7 umfasst sieben Länder: Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, das Vereinigte Königreich und die USA. IWF-Schätzungen vom August 2025.
Quellen: FactSet, Internationaler Währungsfonds. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen, Prognosen oder Projektionen als richtig erweisen werden.
Darüber hinaus deutet eine Umfrage von Bloomberg unter Wirtschaftswissenschaftlern darauf hin, dass Indien im nächsten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu null eine Rezession bevorsteht – ein starker Kontrast zu Mexiko, das noch immer in hohem Maße den Konjunkturzyklen der USA ausgesetzt ist, und zu Kanada, wo einige Indikatoren wie rückläufige Produktion und schwächere Beschäftigungszahlen auf eine möglicherweise bereits einsetzende Rezession hinweisen (siehe Abbildung 2 unten).
Abbildung 2: Weltweite Rezessionswahrscheinlichkeit
Rezessionswahrscheinlichkeit in einem Jahr
Stand 14. August 2025

Hinweis: Zeigt die mittlere prognostizierte Rezessionswahrscheinlichkeit an. Diese Prognosen sind von den aktuellen monatlichen und vierteljährlichen Umfragen von Bloomberg und von den Prognosen verschiedener Banken abgeleitet.
Quelle: Bloomberg. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen, Prognosen oder Projektionen als richtig erweisen werden.
Bisher notierte Indien im Vergleich zu anderen Schwellenländern mit einem Aufschlag, was seine starken Fundamentaldaten und sein Wachstumspotenzial widerspiegelte. Nach den Marktkorrekturen der letzten Zeit haben sich die Bewertungen jedoch abgeschwächt, sodass die geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnisse für das vollständige Kalenderjahr 2025 im MSCI India Index bei 24 liegen. Das deckt sich in etwa mit dem Niveau der USA von 24,2.2 Dies ist die geringste Bewertungslücke zwischen Indien und den USA seit 2016.3 Da die Gewinnprognosen der Unternehmen robust bleiben, sind wir der Ansicht, dass diese Neubewertung das Risiko-Rendite-Profil für neue Allokationen verbessert – insbesondere für Anleger, die sich in wachstumsstarken Titeln mit steigendem relativen Wert engagieren wollen.4
Der indische Finanzsektor hat andere Segmente deutlich übertroffen: Der Nifty Financial Services Index, ein Referenzindex für Banken, Versicherungen und diversifizierte Finanzwerte, erreichte im Juni Rekordhöhen und stieg in der ersten Jahreshälfte um mehr als 15 %.5 Dieser Aufschwung spiegelt die Verbesserung der Vermögensqualität, solidere Bilanzen und eine robuste Kreditnachfrage wider, was durch Rekordgewinne im Bankensektor im Geschäftsjahr 2025 unterstrichen wird.
Von Worten zu Taten bei den Chip-Ambitionen
Indien setzt ambitionierte Ziele für die Halbleiterindustrie in konkrete Fortschritte um. Mit einer milliardenschweren, von der Regierung unterstützten Initiative hat Premierminister Modi ein klares Bekenntnis zum Aufbau eines eigenständigen Halbleiter-Ökosystems signalisiert. Dieser Sektor zieht nicht nur multinationale Unternehmen an, sondern fördert auch einen schnell wachsenden Pool an heimischen Talenten von hochqualifizierten Forschungs- und Entwicklungsaufgaben bis hin zu Positionen in Fertigung und Lieferketten. Dadurch tragen Halbleiter maßgeblich zur allgemeinen wirtschaftlichen Transformation Indiens und zum technologiegetriebenen Wachstum des Landes bei.
Angesichts der Neuausrichtung der globalen Halbleiter-Lieferketten – ausgelöst durch geopolitische Veränderungen und die Notwendigkeit der Diversifizierung – positioniert sich Indien durch seine zunehmende Bedeutung in diesem wichtigen Sektor sowohl als Produktionsstandort als auch als bedeutender Arbeitgeber. Diese Weiterentwicklung ergänzt Indiens allgemeine Rolle als Lieferketten-Alternative zu China, da multinationale Unternehmen und Investoren angesichts wachsender geopolitischer Ungewissheiten aktiv versuchen, ihre Beschaffungs- und Produktionsstandorte zu diversifizieren.
Ein digitales Schwergewicht
Indien hat weltweit mit die meisten Smartphone-Nutzer, Internet-Abonnenten und digitalen Transaktionen. Die umfangreiche öffentliche digitale Infrastruktur, darunter ein nationales biometrisches ID-System und ein Echtzeit-Zahlungsnetzwerk, generiert täglich riesige Datenmengen. Aufgrund dieser digitalen Dynamik ist Indien zum am schnellsten wachsenden Markt für ChatGPT avanciert. Schätzungen zufolge stellt das Land mittlerweile mit rund 14 % der Gesamtnutzer die größte Nutzerbasis der Plattform dar.6
Die dringendsten Herausforderungen Indiens – im Gesundheitswesen, in der Bildung, in der Landwirtschaft und bei öffentlichen Diensten – stellen gleichzeitig auch die größten Chancen des Landes dar. Mit einer enormen Bevölkerungszahl, einem florierenden Technologiesektor und einer robusten digitalen Infrastruktur ist Indien aus unserer Sicht einzigartig positioniert, um künstliche Intelligenz (KI) und digitale Lösungen auszubauen, die neben wirtschaftlichem Wachstum auch bedeutende soziale Auswirkungen haben können.
Im Einklang mit dieser Vision haben Regierungsbeamte die ambitionierte IndiaAI Mission ins Leben gerufen, die mit öffentlichen Investitionen von mehr als 1,25 Mrd. USD unterstützt wird. Mit dieser Initiative sollen eine nationale Recheninfrastruktur aufgebaut, eigene KI-Modelle entwickelt, KI-Sicherheitsrahmenwerke geschaffen und die Finanzierung von Start-ups sowie Forschungszentren gefördert werden, um so die Grundlage für Indiens Führungsrolle bei der KI-Innovation zu schaffen.
Mehr als Dienstleistungen und Konsum – ein sich entwickelnder Produktionsstandort
Da globale Unternehmen und Investoren sich zunehmend von traditionellen Produktionszentren abwenden, rückt Indien immer mehr als wichtige Alternative zu China in den Fokus. Seine wachsenden Produktionskapazitäten, die sich verbessernde Infrastruktur, die günstige demografische Entwicklung und politische Anreize tragen dazu bei, dass das Land zu einem strategischen Knotenpunkt in globalen Lieferketten wird. Unserer Auffassung nach stärkt diese sich wandelnde Rolle die langfristigen Argumente für Anlagen in Indien – nicht nur als konsumgetriebener Markt, sondern auch als wichtiger Akteur im globalen industriellen Ökosystem.
Fußnoten
- Quelle: „National Import-Export Record for Yearly Analysis of Trade (NIRYAT).“ Indisches Ministerium für Handel und Industrie. Von April 2024 bis März 2025.
- Quelle: Bloomberg, Stand: 2. September 2025. Der MSCI India Index soll die Wertentwicklung des Large- und Mid-Cap-Segments im indischen Markt messen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftigen Renditen. Indizes werden nicht aktiv gemanagt und es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren. Wichtige Mitteilungen und Nutzungsbedingungen der Datenanbieter sind verfügbar unter www.franklintempletondatasources.com. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen, Prognosen oder Projektionen als richtig erweisen werden.
- Quelle: Bloomberg. Die USA werden anhand des S&P 500 Index gemessen.
- Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Prognosen, Schätzungen oder Hochrechnungen als richtig erweisen.
- Quelle: Yahoo Finance. Der Nifty Financial Services Index soll das Verhalten und die Wertentwicklung des indischen Finanzmarktes wiedergeben, zu dem Banken, Finanzinstitute, Wohnungsbaufinanzierer, Versicherungsgesellschaften und andere Finanzdienstleister gehören. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftigen Renditen. Indizes werden nicht aktiv gemanagt und es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren. Wichtige Mitteilungen und Nutzungsbedingungen der Datenanbieter sind verfügbar unter www.franklintempletondatasources.com.
- Quelle: „Can India be an AI winner?“ The Economist. 12. Juni 2025.
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.
Aktienwerte unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden. Internationale Anlagen sind mit besonderen Risiken verbunden. Hierzu gehören Währungsschwankungen sowie gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, die zu erhöhter Volatilität führen können. Diese Risiken sind in Schwellenländern noch größer.
Anlagen in Unternehmen eines bestimmten Landes oder einer bestimmten Region können einer größeren Volatilität unterliegen als Anlagen, die geografisch breiter gestreut sind. Der Einfluss der Regierung auf die Wirtschaft ist noch immer hoch, und daher spielen bei Investitionen in China Regulierungsrisiken im Vergleich zu vielen anderen Ländern eine größere Rolle.
Anlagestrategien, die darin bestehen, thematische Anlagechancen zu identifizieren, und ihre Wertentwicklung können beeinträchtigt werden, wenn der Anlageverwalter die tatsächlichen Chancen nicht erkennt oder wenn sich das Thema auf nicht erwartete Weise entwickelt. Die Konzentration von Anlagen auf die Informationstechnologie (IT) und/oder technologiebezogene Branchen birgt viel größere Risiken im Zusammenhang mit ungünstigen Entwicklungen und Kursbewegungen in diesen Branchen als eine Strategie, mit der in eine breitere Palette von Branchen investiert wird.
WF: 6598141
