AUTOREN

Kim Catechis
Investment Strategist,
Franklin Templeton Institute

Karolina Kosinska, CIPM
Analyst
Franklin Templeton Institute
Einleitung
Tiefwasserwellen entstehen in einer Tiefe von rund 200 Metern oder mehr.1 Die anfangs breiten Wellen nehmen rasch an Fahrt auf. Durch das Relief des Meeresbodens ändern sie ständig ihre Form. Sie vereinigen sich mit anderen Wellen und werden so immer größer. Je nach dem Gefälle und der Ausformung des Meeresbodens werden Kraft, Strömung und Geschwindigkeit der Tiefwasserwellen entweder abgeschwächt oder intensiviert. Ihre wahre Kraft ist von der Oberfläche schwer zu beurteilen, und ihr Wirkungspotenzial kann leicht falsch eingeschätzt werden.
In dieser Hinsicht sind sie langfristigen Antriebsfaktoren, mit denen sich Investoren konfrontiert sehen, sehr ähnlich. Typischerweise reagieren wir auf jene Auswirkungen, die wir an der Oberfläche vorhersehen können, während wir die zugrunde liegenden Antriebsfaktoren leicht falsch deuten. Mächtige „Wellen“ schwemmen zuvor getroffene Annahmen weg und ändern dabei die auf Wirtschaft, Politik und Regierungsprogrammen beruhenden Grundlagen für Asset-Preise. Unterdessen gibt es Bewegung im Konflikt zwischen angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik, was unmittelbare Auswirkungen auf die Zukunftsaussichten vieler Länder hat. Diese Faktoren sind miteinander verflochten, nicht voneinander abhängig.
In unserer ursprünglichen Publikation „Deep Water Waves“ („Tiefwasserwellen“)haben wir auf mehrere starke, miteinander verbundene und langfristige Faktoren hingewiesen, die sich in den kommenden Jahrzehnten deutlich auf die Anlagerenditen auswirken werden. In diesem neuen Artikel (auf Englisch) erkunden wir weiter das Zusammenspiel dieser Faktoren und aktualisieren unsere Prognose ihrer wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Anlageergebnisse in den kommenden zehn Jahren.
Was hat sich insgesamt verändert?
Die zugrunde liegenden „Wellen“ sind noch dieselben, doch sie nehmen an Fahrt auf, werden höher und stärker. Unsere wesentlichen Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Die ökonomische Logik ist nicht mehr der Haupttreiber. . Weltweit herrscht eine geoökonomische Logik vor. Das bedeutet, dass die AnlegerInnen im Hinblick auf ihre Bewertungskriterien neue, schwer zu quantifizierende Konzepte wie die Nutzung der Energieversorgung als Waffe, Sicherheitsbeziehungen, Lieferketten oder Handelsbeziehungen und selbst die Preise von Waren aus einem neuen Blickwinkel betrachten müssen.
- Die Globalisierung ist in all ihren Dimensionen (Handels- und, Kapitalströme, Bewegung von Arbeitskräften) nun noch stärker gefährdet. Deshalb wird das globale Wachstum für einen beträchtlichen Zeitraum (zumindest bis zum Ende dieses Jahrzehnts) schwächer ausfallen als zuvor angenommen. Das hat Auswirkungen auf die realen Zinsen, die Schuldenstände und den Gleichgewichtswert von Aktien.
- Der Wandel in Europa ist Realität. . Die Zeitenwende Deutschlands könnte sich in radikaler Weise auf die Emission von Staatsanleihen, den weltweiten Wettbewerb um Kapital und die realen Wechselkurse auswirken.
Fazit
Tiefwasserwellen sind ständig in Bewegung. Neue Muster und Gegenströme sind entstanden, die zur Dominanz geopolitischer Erwägungen geführt haben. Die AnlegerInnen sollten sich bewusst werden, dass die traditionelle ökonomische Logik, die ihr Handlungsumfeld einst bestimmte, von einer geoökonomischen Logik abgelöst wurde. Die Priorität liegt nicht länger auf dem Konzept der Wirtschaftlichkeit, sondern auf nicht-ökonomischen Belangen, sodass die Bewertungsinstrumente, die wir in den letzten 50 Jahren verwendet haben, nicht mehr ausreichen. Es gilt, das Unvermeidliche zu akzeptieren: Die künftige Politik wird interventionistischer Natur sein, und dies erfordert genauere Kenntnisse der strukturellen Stärken und Schwächen der Länder, in die wir investieren.
Die USA, die Europäische Union (EU) und China sind die größten Wirtschaftsmächte. Sie machen 26 %, 17 % bzw. 16 % der Weltwirtschaft aus.2 Jeder dieser Wirtschaftsräume bemüht sich, seine wirtschaftlichen Interessen zu schützen: Die USA sind weniger auf den Handel angewiesen, doch sie sind ein großer Importeur. China ist der führende Exporteur und braucht die ausländischen Märkte, und die EU ist der größte Verbrauchermarkt und setzt viele weltweite Standards. Sie ist in hohem Maße vom Binnenhandel abhängig. Eine zunehmend interventionistische Politik macht es schwieriger, Anlagen zu tätigen. Gewisse strategische Anpassungen der Vermögensallokation könnten erforderlich sein: eine Neudefinition von Qualität (z. B. unter Einbeziehung von ESG-Faktoren), ein Fokus auf Erträge und globale Diversifizierung und die Nutzung alternativer Anlageformen. In den Bereichen Altersvorsorge und Gesundheitswesen sind angesichts der künftigen Verpflichtungen aufgrund einer alternden Bevölkerung neue Anreize entscheidend.
Die wirtschaftliche Polarisierung zwischen Staaten und Regionen wird zunehmen. Viele Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen werden damit konfrontiert sein, dass die ausländischen Direktinvestitionen abnehmen, die Arbeitslosigkeit aufgrund der Verschiebung der Lieferketten und der Automatisierung steigt und Handelshemmnisse den Zugang zu wichtigen Märkten beschränken. Darüber hinaus behindern Bildungsdefizite den ökonomischen Anpassungsprozess, woraus sich Anlagechancen in den Bereichen Bildung, Online-Dienstleistungen und Breitband-Infrastruktur ergeben. Die Kommunen, denen es in vielen Fällen an Finanzmitteln und Expertise fehlt, werden wahrscheinlich zu Partnerschaften mit Organisationen wie der IFC und der Weltbank gezwungen sein. China übt durch seine Impfstoff- und Infrastrukturdiplomatie weiter Einfluss aus, besonders in den Bereichen Technologie und Kommunikation. Dies ist für viele Länder von Vorteil. Innenpolitisch setzen die Regierungen Anreize für Investitionen in benachteiligte Regionen und lenken Kreditentscheidungen. Die AnlegerInnen sollten sich daher bewusst sein, dass politische Motive schwerer wiegen könnten als traditionelle Renditekriterien.
In einer multipolaren Welt ist Größe ein strategischer Vorteil. Ökonomisches Gewicht und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit sind heute Kernelemente der nationalen Sicherheit, die darüber entscheiden, wie gut ein Land in der Lage ist, externen Schocks und geopolitischem Stress standzuhalten. Infolgedessen ist der Wert einer Mitgliedschaft in handelspolitischen, wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Allianzen (z. B. EU, CPTPP und ASEAN) deutlich gestiegen.
Institutionelle Anleger sollten in diesem sich verändernden Umfeld die etablierten Herangehensweisen an das Länderrisiko auf den Prüfstand stellen. Mit traditionellen Modellen, in denen allein die fiskalische oder geldpolitische Stabilität berücksichtigt ist, werden möglicherweise nicht mehr alle Aspekte der Widerstandsfähigkeit eines Landes erfasst. Es könnte eine gute Idee sein, bei der Berechnung der Risikoprämie eines Landes dessen geopolitische Ausrichtung und eine Mitgliedschaft in Netzwerken für kollektive Sicherheit zu berücksichtigen, um die langfristigen Anlagerisiken und Chancen besser abzubilden.
Endnotes
- Quelle: „What is the deep ocean?” National Oceanic and Atmospheric Administration der USA. oceantoday.noaa.gov (ohne Datum).
- Quelle: Weltbank. Stand der Daten: Ende 2024. Abgerufen am 3. Juli 2025.
Kim Catechis und das Franklin Templeton Institute verfolgen in ihrer Rolle als Vordenker und mit ihren Recherchen ausschließlich Bildungszwecke. Das Franklin Templeton Institute erbringt keine Anlageberatungsdienstleistungen und verwaltet kein Geld für Franklin Templeton oder Kunden von Franklin Templeton. Die etwaige Nennung von Unternehmen in diesem Artikel dient allein der Veranschaulichung und ist nicht als Anlageempfehlung oder als Hinweis auf Handelsabsichten von Franklin Templeton zu verstehen.
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.
Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden.
Internationale Anlagen sind mit besonderen Risiken verbunden. Hierzu gehören Währungsschwankungen sowie gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, die zu erhöhter Volatilität führen können. Diese Risiken sind in den Schwellenländern noch größer.
Der Einfluss der Regierung auf die Wirtschaft ist noch immer hoch, und daher spielen bei Investitionen in China Regulierungsrisiken im Vergleich zu vielen anderen Ländern eine größere Rolle.
Investments in China, Hongkong und Taiwan unterliegen speziellen Risiken, dazu gehören eine geringere Liquidität, Enteignungen, eine konfiskatorische Besteuerung, Spannungen im internationalen Handel, Verstaatlichung sowie Devisenkontrollbestimmungen und eine hohe Inflation. All dies kann negative Auswirkungen auf den Fonds haben. Investitionen in Hongkong und Taiwan könnten wegen der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China negativen Einflüssen unterliegen.
Eine Anlage in Wertpapieren des privaten Sektors (wie Private Equity oder Private Credit) oder in Anlagevehikeln, die in Wertpapiere des privaten Sektors investieren, sollte als illiquide eingestuft werden. Sie könnte einen langfristigen Anlagehorizont erfordern, und Erträge können nicht zugesichert werden. Der Wert und die Rendite derartiger Anlagen schwanken unter anderem aufgrund von Änderungen der Marktzinsen, der allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der wirtschaftlichen Lage in bestimmten Branchen, der Verfassung der Finanzmärkte und der finanziellen Verhältnisse der jeweiligen Anlageemittenten. Außerdem kann auch nicht garantiert werden, dass Unternehmen ihre Wertpapiere an einer Börse notieren. Der Mangel an einem etablierten, liquiden Sekundärmarkt für einige Anlagen könnte sich daher negativ auf den Marktwert dieser Anlagen auswirken. Anleger können diese Anlagen somit möglicherweise nicht zu einem vorteilhaften Zeitpunkt oder zu einem guten Preis verkaufen.
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WF: 6965760
