CIO VIEWS
AUTOREN

Sonal Desai, Ph.D.
Chief Investment Officer,
Portfolio Manager
Anleger müssen sich aller Voraussicht nach auf ein ziemlich schwieriges Jahr einstellen. Meines Erachtens ist die makroökonomische Unsicherheit äußerst hoch. Es könnte daher klug sein, im Jahr 2024 ein noch größeres Maß an intellektueller Demut an den Tag zu legen als üblich.
Anfang 2023, als der US-Leitzins (Federal Funds Rate) bei 4,25 %–4,50 % lag, gingen die Märkte davon aus, dass die US-Notenbank (Fed) noch vor Jahresende einen Kurswechsel vollziehen und die Zinsen um 50 Basispunkte (Bp.) senken würde. Ich hatte das starke Gefühl, dass die Anleger das Inflationsproblem und die Entschlossenheit der Fed, dieses Problem zu bekämpfen, unterschätzten. Die Fed nahm keine Zinssenkungen vor und der US-Leitzins liegt aktuell einen ganzen Prozentpunkt über dem Vorjahresniveau.
Zu Beginn des neuen Jahres habe ich den Eindruck, dass meine Einschätzungen nicht ganz so sehr vom Marktkonsens entfernt sind. Trotzdem denke ich, dass viele Anleger sich wieder einmal von ihren optimistischen Erwartungen im Hinblick auf eine weniger restriktive Geldpolitik davontragen lassen. Die Fed hat für dieses Jahr Zinssenkungen im Umfang von 75 Bp. signalisiert, und das scheint angesichts der Fortschritte bei der Bekämpfung der Inflation realistisch. Die Märkte begannen jedoch irgendwann, Zinssenkungen von etwa 150 Bp. einzupreisen, zudem gehen sie davon aus, dass die Zinsen bereits ab März gesenkt werden, und dazu wird es meiner Ansicht nach nicht kommen. Die Märkte haben der Fed bei der Lockerung bereits viel Arbeit abgenommen: Die Finanzierungsbedingungen haben wieder das gleiche Niveau erreicht, als der US-Leitzins noch bei gerade mal 1,75 % lag. Die Wirtschaft ist nach wie vor robust, daher dürfte die Fed keine Eile haben, die Zinsen zu senken. Allerdings kann man nur schwer vorhersagen, ob und wie der Wahlkalender den Zinssenkungskalender beeinflussen könnte.
Möglicherweise unterschätzen die Märkte immer noch die Entschlossenheit der Fed bei der Bekämpfung der Inflation
2022–2024 (Prognose)

Quellen: Franklin Templeton Fixed Income Research, New York Fed, CME Group, Macrobond. Stand: 12. Januar 2024. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen oder Prognosen bewahrheiten.
Vor einem Jahr war ich überrascht, wie sehr die Märkte die Fed anscheinend missverstanden, heute bin ich überrascht davon, welchen Mangel an Umsicht die Fed neuerlich an den Tag legt. Im Dezember zeigte sich US-Notenbankchef Jerome Powell siegessicher. Das mag nachvollziehbar sein, denn die Inflation ist deutlich zurückgegangen, ohne dass die Wirtschaft größeren Schaden erlitten hat. Doch die deutliche Veränderung in der Wortwahl der Fed hat erwartungsgemäß die Märkte noch in ihrer Überzeugung bestärkt, dass wir bald wieder die guten alten Tage der extrem niedrigen Zinsen und reichlich vorhandener Liquidität haben werden. Diese Überzeugung wird noch dadurch angefacht, dass die Fed signalisiert, sie wolle ihre quantitativen Straffungsmaßnahmen mit einer viel größeren Bilanz beenden als ursprünglich angenommen, um weiterhin über „mehr als ausreichend Liquidität“ zu verfügen.
Ob absichtlich oder unabsichtlich, die Fed hat damit eine neue Welle irrationaler Euphorie an den Märkten ausgelöst. Meines Erachtens trägt dies dazu bei, dass die Inflationsrisiken weiterhin bestehen bleiben und Investitionsentscheidungen 2024 deutlich schwieriger werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will den Erfolg der Fed bei der Inflationsbekämpfung nicht kleinreden. Die entschlossene geldpolitische Straffung hat in Kombination mit den nachlassenden angebotsseitigen Schocks den Preisauftrieb erheblich verlangsamt und dazu beigetragen, die Inflationserwartungen zu dämpfen. Aber es gibt immer noch zwei Arten von Inflationsrisiken, die Anleger im Auge behalten müssen: erstens das Risiko, dass die Bewältigung der „letzten Meile“ zurück zu den 2 % unangenehm lange dauern könnte, und zweitens die Gefahr, dass ein neuer Schock zum falschen Zeitpunkt die Inflation wieder steigen lassen könnte.
Die Daten zum Verbraucherpreisindex (VPI) für Dezember haben gerade bestätigt, dass die Inflation hartnäckig über dem angestrebten Zielwert verharrt. Der Kern-VPI lag mit 3,9 % im Jahresvergleich nur knapp unter den 4,0 % vom November. Der „Supercore“-VPI, bei dem Wohnkosten sowie Nahrungsmittel und Energie nicht berücksichtigt werden, lag ebenfalls unverändert bei 3,9 % im Jahresvergleich. Der Gesamt-VPI stieg auf unerwartet hohe 3,4 % im Jahresvergleich (gegenüber 3,1 % im November). Die neueren annualisierten gleitenden Durchschnittswerte sind nur etwas niedriger: 3,3 % für den Kern-VPI in den vergangenen drei Monaten. Damit wurde in den vergangenen sechs Monaten keine Verbesserung erzielt.
Die Fiskalpolitik ist das heikle Thema, das niemand ansprechen will – sie ist weiterhin extrem locker, und da wir uns in einem Wahljahr befinden, dürfte sich daran kurzfristig kaum etwas ändern. Das erhöht nicht nur die Inflationsrisiken, sondern verstärkt auch die Gefahr der fiskalischen Dominanz: Für die US-Notenbank wird es immer schwieriger, den unverändert großen Finanzierungsbedarf der Regierung und die stärkeren Auswirkungen der Zinsausgaben auf den Haushalt selbst zu ignorieren.
Die Fiskalpolitik wird locker bleiben, bei hohen Defiziten
1945–2030 (Prognose)

Quellen: Franklin Templeton Fixed Income Research, CBO, Macrobond. Stand: 11. Januar 2024. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen oder Prognosen bewahrheiten.
Langfristige Überlegungen werden 2024 auch das Investitionsumfeld beeinflussen, denn die durch die hohe Inflation bedingte Notfallphase nähert sich ihrem Ende und ein neues Gleichgewicht setzt langsam ein. Ich denke nach wie vor, dass die neue Normalität der alten Normalität, also der Normalität vor der globalen Finanzkrise, in vielerlei Hinsicht ähneln wird. Anders ausgedrückt: Ich glaube nicht, dass wir in eine Welt extrem niedriger Zinsen und einer extremen Überschussliquidität zurückkehren werden.
Meiner Meinung nach wird immer deutlicher, dass der neutrale Zinssatz höher ist als die Märkte glauben und die Fed nach wie vor andeutet. Nur so lässt sich erklären, dass die US-Wirtschaft so stark bleiben konnte, obwohl der US-Leitzins seit vergangenem Mai über 5 % liegt. Meines Erachtens liegt der natürliche Zinssatz nominal wahrscheinlich bei 4 % oder etwas darüber, und nicht bei den 2,5 %, die der Offenmarktausschuss der Fed in seinen langfristigen Prognosen angibt.
Ich bin auch etwas beunruhigt darüber, dass die US-Notenbank angedeutet hat, ihre Bilanz weiterhin extrem groß halten zu wollen. Oft heißt es, die Menge an Währungsreserven einer Zentralbank habe nichts mit der Kreditvergabe von Banken zu tun. Hier werden meines Erachtens wichtige Punkte verwechselt. Es stimmt, dass eine Ausweitung der Bilanz der Fed die Banken nicht automatisch zwingt, mehr Kredite zu vergeben. Es stimmt aber auch, dass ein hoher Bestand an Währungsreserven, der einer großen Bilanz der Fed entspricht, großen Spielraum für eine verstärkte Kreditvergabe und Kreditaufnahme schafft, falls die Banken dies wünschen. Und es stimmt auch, dass eine große Bilanz durch ihre Auswirkung auf die Liquidität zu lockeren Finanzierungsbedingungen beiträgt. Das ist schließlich genau der Grund, warum die Fed die quantitativen Lockerungsmaßnahmen überhaupt auf den Weg gebracht hat. Die Fed mag verschiedene Gründe haben, warum sie eine größere Bilanz vorzieht (unter anderem möglicherweise aufgrund der fiskalischen Dominanz und der finanziellen Repression), doch meines Erachtens ist das riskant. Indem die Fed dafür sorgt, dass weiterhin erheblicher Spielraum für die Kreditvergabe und Kreditaufnahme vorhanden ist, schafft sie eine weitere Möglichkeit für volatile Anpassungen im Wirtschafts- und Finanzsystem – und bestärkt die Märke in ihrer Einschätzung, dass das Umfeld üppiger Liquidität, das nach der globalen Finanzkrise herrschte, sich wieder einstellen wird.
Die US-Wirtschaft präsentiert sich zu Beginn des Jahres 2024 widerstandsfähig, unterstützt durch starke Aktienmärkte, eine lockere Fiskalpolitik und einen robusten Arbeitsmarkt, auf dem das Lohnwachstum weiterhin deutlich über dem Inflationsziel liegt. Daher komme ich zu dem Schluss, dass eine Rückkehr zu der sehr lockeren Geldpolitik, die sich die Märkte nach wie vor wünschen, in keiner Weise gerechtfertigt ist.
All diese Punkte sorgen für ein sehr anspruchsvolles Investitionsumfeld, denn die Märkte haben die Fed weit hinter sich gelassen, sie haben bereits mehr geldpolitische Maßnahmen eingepreist als in diesem Jahr realistisch zu erwarten sind. Ich rechne daher in den kommenden Quartalen mit mehr Volatilität, die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen könnte sich wieder der Marke von 4,50 % annähern. In den kommenden Quartalen dürfte eine Verlängerung der Duration immer attraktiver erscheinen. Meines Erachtens werden festverzinsliche Wertpapiere wieder zunehmend als Diversifikationsmöglichkeit in einem Portfolio dienen. Sie werden letztendlich von einer geringeren Volatilität profitieren, wenn die Märkte wieder weniger stark auf die Reaktionen der Fed achten.
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.
Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden.
Festverzinsliche Wertpapiere sind mit Zins-, Kredit-, Inflations- und Wiederanlagerisiken sowie mit dem Risiko eines möglichen Verlusts des Anlagebetrags verbunden. Wenn die Zinssätze steigen, fällt der Wert von festverzinslichen Wertpapieren. Niedrig bewertete, hochverzinsliche Anleihen sind höheren Preisschwankungen, Illiquiditätsrisiken und der Möglichkeit eines Ausfalls ausgesetzt.
