AUTOREN

Sonal Desai, Ph.D.
Chief Investment Officer,
Portfolio Manager
Zu Beginn meiner Laufbahn arbeitete ich beim Internationalen Währungsfonds (IWF), wo ich mich mit unterschiedlichsten Schwellenländern auseinandersetzte. Damals scherzten die Ökonomen des Fonds, dass „IMF“ (die englische Abkürzung) eigentlich für „It’s Mostly Fiscal“ stünde, weil im Zentrum seiner Empfehlungen die Rolle der Fiskalpolitik stand. Es herrschte die Annahme, dass ein vorsichtiger, nachhaltiger fiskalpolitischer Kurs die gesamtwirtschaftliche Stabilität fördert, eine anhaltend lockere Fiskalpolitik dagegen die Lage sehr viel schwieriger macht, vor allem für die Zentralbank. Die US-Notenbank (Fed) scheint gerade herauszufinden, inwieweit das heute immer noch zutrifft.
Als die Gouverneure der Fed in ihre Mai-Sitzung gingen, mussten sie sich mit bereits drei Monate anhaltenden unangenehm hohen Inflationszahlen auseinandersetzen. Bei der letzten Sitzung hatte der Fed-Vorsitzende Jerome Powell noch die Hoffnung geäußert, dass es sich bei den Zahlen für Januar und Februar um Ausnahmefälle handeln könnte. Auf der Mai-Sitzung räumte er allerdings ein, dass man einen ein ganzes Quartal lang anhaltenden Inflationsdruck wohl nicht ignorieren kann. Um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie stark der Inflationsdruck nach wie vor ist, werfen Sie einen Blick auf die folgende Tabelle:

Analyse von Franklin Templeton Fixed Income Research.
Vergleicht man den annualisierten gleitenden Dreimonatsdurchschnitt mit den Sechs- und Zwölfmonatszahlen, so zeigt sich eine deutliche Steigerung bei allen US-Inflationskennzahlen. Besonders auffallend ist der „Supercore“-VPI (Kerndienstleistungen ohne Wohnen), der in den letzten drei Monaten bei über 8 % stand. Wenig erfreulich ist aber auch die Gesamt- und die Kernrate sowohl des VPI als auch der persönlichen Konsumausgaben (PCE), die im annualisierten Durchschnitt um 4,5 % gestiegen sind. Auf die Frage nach einer Stagflation scherzte Powell, er sehe weder „Stag-“ noch „-flation“. Die Zahlen oben legen jedoch nahe, dass man die gute alte „-flation“ mit bloßem Auge erkennen kann.
Was „Stag-“ angeht, so bereitet dieser Teil vorerst weniger Sorge, auch wenn die US-Wirtschaftsdaten der letzten Woche schwächer als erwartet ausfielen und sowohl die Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft als auch der Dienstleistungsindex des Institute of Supply Management deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. Die Arbeitslosenquote in den USA liegt jedoch nach wie vor unter 4 %. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der Arbeitsmarkt trotz eines kräftigen Anstiegs der Lohnstückkosten (um fast 5 % im ersten Quartal dieses Jahres) nach wie vor relativ robust ist.
Angesichts dessen war der Ton der Fed auf der Pressekonferenz im Anschluss an die geldpolitische Sitzung erstaunlich gemäßigt. Powell hat zwar Recht damit, nach der beeindruckenden Wirtschaftsbilanz im Jahr 2023 die Anzeichen einer Wachstumsabschwächung im Blick zu behalten, doch die klare und akute Herausforderung für die Geldpolitik bleibt die anhaltende Inflation.
Powell machte deutlich, dass er (und die Fed) die Zinsen sehr gerne senken würden, aber die Finanzmärkte scheinen verinnerlicht zu haben, dass die Fed die Zinsen noch nicht senken kann. Powell malte verschiedene mögliche Szenarien aus, die den Beginn eines Zinssenkungszyklus auslösen könnten: zum Beispiel eine unerwartete starke Abschwächung des Arbeitsmarktes oder ausreichende Hinweise darauf, dass die Inflation nachhaltig auf das 2 %-Ziel zusteuert. Nach den Inflationsdaten der letzten drei Monaten würde es mehrere Monate mit positiveren Zahlen brauchen, um die Fed von diesem Inflationskurs zu überzeugen, denn ein erneuter Inflationsanstieg nach dem Beginn von Zinssenkungen könnte die Finanzmärkte destabilisieren. In Anbetracht des Sitzungskalenders der Fed für den Rest des Jahres bin ich der Meinung, dass es keinen großen Spielraum gibt, und rechne daher weiterhin mit höchstens zwei Zinssenkungen in diesem Jahr.
Aufgrund der schwachen Entwicklung der Beschäftigtenzahlen stieg das kurze Ende der Zinskurve von US-Staatsanleihen an, während das lange Ende eine moderatere Bewegung zeigte und wahrscheinlich weiterhin viel empfindlicher auf die Haushaltslage und vorsichtiger auf die Inflationsaussichten reagieren wird.
Da die Fed die Zinssätze noch nicht senken kann, beschloss sie, das Tempo der quantitativen Straffung deutlich zu verlangsamen: Sie wird den Anteil der US-Staatsanleihen an ihrer Bilanz künftig nur noch um 25 Mrd. USD pro Monat reduzieren statt wie bisher um 60 Mrd. USD. Powell bestritt, dass dies eine lockerere Geldpolitik impliziere, und traf damit eine Unterscheidung, die meines Erachtens einer näheren Betrachtung nicht standhält. Er behauptete, dass nur die Zinssätze wirklich ein geldpolitisches Instrument seien, während die Bilanz lediglich dazu diene, Funktionsstörungen der Finanzmärkte zu verhindern. Das ist meiner Meinung nach ein nicht ganz aufrichtiges Argument: Die quantitative Lockerung wurde als Instrument der geldpolitischen Lockerung verwendet, und so auch präsentiert. Folgerichtig bedeutet eine langsamere Bilanzverkleinerung eine lockerere Geldpolitik als bisher vorgesehen.
Die Sache hat aber einen Haken: Die Fed wird zwischen einem Viertel und einem Drittel der Anleihen aufkaufen, die zur Finanzierung eines gigantischen Haushaltsdefizits von rund 2 Bio. US-Dollar emittiert werden. Und dies bringt mich wieder zurück zu meinem eigentlichen Punkt: Die anhaltend lockere Fiskalpolitik führt bereits zu einem Anstieg der staatlichen Zinsaufwendungen – ein klassischer Fall fiskalischer Dominanz. Dies setzt die Fed indirekt unter Druck: Sie muss versuchen, die staatlichen Finanzierungskosten zumindest etwas zu mindern. Die immer noch zu hohe Inflation bringt die Fed nun in eine sehr schwierige Lage: Sie versucht, die Geldpolitik unauffällig zu lockern, und geht dabei ein zusätzliches Risiko in Bezug auf die Inflation ein.
Die Nettozinskosten werden im nächsten Jahrzehnt einen größeren Teil des US-Haushaltsdefizits ausmachen
1992–2034 (Prognose)

Quellen: CBO, Macrobond. Analyse von Franklin Templeton Fixed Income Research. Stand: 6. Mai 2024. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen oder Prognosen bewahrheiten.
Bislang zeigten sich die Sorgen über eine lockere Fiskalpolitik an den Märkten nur phasenweise. Doch langfristig könnten Anleger ihre Aufmerksamkeit stärker auf die Auswirkungen richten, die die massiven Haushaltsdefizite auf die Anleihenemissionen haben. Wenn der Arbeitsmarkt sich abkühlt und die Fed dazu veranlasst, die Zinsen zu senken, könnten wir uns dem gleichen weit bekannten Problem gegenübersehen, das sich dem ehemaligen Fed-Vorsitzenden Alan Greenspan stellte: Die Renditen am langen Ende der Zinskurve könnten trotz sinkender Leitzinsen auf einem höheren Niveau verharren, insbesondere wenn die Disinflation weiterhin schmerzhaft langsam voranschreitet.
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.
Festverzinsliche Wertpapiere sind mit Zins-, Kredit-, Inflations- und Wiederanlagerisiken sowie mit dem Risiko eines möglichen Verlusts des Anlagebetrags verbunden. Wenn die Zinssätze steigen, fällt der Wert von festverzinslichen Wertpapieren. Niedrig bewertete, hochverzinsliche Anleihen sind höheren Preisschwankungen, Illiquiditätsrisiken und der Möglichkeit eines Ausfalls ausgesetzt.
Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden.
