AUTOREN

Matthias Hoppe
SVP/Head of EMEA Portfolio Management
Franklin Templeton Investment Solutions
Entsprechend reagierten die Währungshüter. Zentralbanken auf der ganzen Welt erhöhten rund 250 Mal die Zinsen. Dennoch erreichte die Inflation in der Eurozone im Oktober einen Höchstwert von 10,6 % und in den USA im Juni 9,0 %. Folglich war es schwierig an den Kapitalmärkten – kaum eine Anlageklasse beendete das Jahr im Plus.
Wertentwicklung unterschiedlicher Anlageklassen
Die meisten Anlageklassen haben das Jahr 2022 mit einem Verlust beendet. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Rohstoffe und Gold – mit Hilfe eines starken US-Dollars.

Quelle: Refinitiv Datastream, MSCI, Bloomberg, Standard & Poor’s, ICE, NYSE, J.P. Morgan. Stand: 31.12.2022 * Währungsgesichert
Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftigen Renditen.
Anfang 2022 überwiegte noch die Hoffnung, dass immer mehr Volkswirtschaften zur Erholung ansetzen würden, insbesondere durch den wiedererstarkten Konsum nach zwei Jahren Pandemie. Doch der Krieg zwischen Russland und der Ukraine und die inflationären Folgen der Energieknappheit machten den Hoffnungen, insbesondere in der Eurozone, schnell einen Strich durch die Rechnung. Der wirtschaftliche Optimismus wurde durch diese Probleme und die daraus resultierende Straffung der Geldpolitik in den meisten Industrieländern geschwächt.
Im Gegenteil, die wirtschaftliche Dynamik hat sich 2022 verschlechtert. Das starke Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Jahres 2021, das durch staatliche Ausgaben angeheizt und mit billigem Geld finanziert wurde, ist durch weitverbreiteten Pessimismus ersetzt worden. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im neuen Jahr ist nicht von der Hand zu weisen, wobei in Europa die Risiken am höchsten sind. Verstärkt wird der Trend durch die verzögerten Auswirkungen der Geldpolitik, die wahrscheinlich restriktiv bleiben wird, bis die Inflationsrisiken gebändigt sind.
Indikatoren zum Konsumentenvertrauen*
Daten vom 31.12.2007 bis 31.12.2022

Quelle: DG ECFIN, Refinitiv Datastream
* Harmonisierte Umfrage: Saldo (%) zwischen den positiven und negativen Antworten
Die Finanzmärkte wurden 2022 durch diese pessimistische Wende untergraben. Das Motto schien zu sein: „alles verkaufen“. Die Aktienmärkte korrigierten stark. Der S&P 500 Index verlor rund 18 %, der MSCI EMU Index für die Eurozone gab -11,7 % nach. Die Renditen von Staatsanleihen stiegen (und damit fielen die Preise). So bewegte sich die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen von -0,18 %, wo sie noch am Jahresanfang notierte, bis Ende 2022 auf 2,25 %. Und bei Unternehmensanleihen weitete sich die Renditedifferenz (Spreads) zu Staatsanleihen aus, in der Eurozone etwa von 99 Basispunkten Anfang des Jahres auf 170 Basispunkte. Im Oktober betrug dieser Spread sogar 230 Basispunkte. Diese Marktbewegungen waren nicht zuletzt auch ein Resultat der angezogenen geldpolitischen Zügel, die darauf abzielen, die Preissteigerungsraten in den Griff zu bekommen.
Wohin geht die Inflation?
Die Inflation bleibt auch mittelfristig das drängendste Thema für Verbraucher, Unternehmen und Kapitalmärkte. Sie wirkt sich direkt auf das Verbraucherverhalten aus. Zwar gehen wir davon aus, dass sich die globale Inflation ihrem zyklischen Höchststand genähert oder ihn bereits erreicht hat. Aber wir erwarten, dass es noch etwas dauern dürfte, bis sie wieder ihr Trendniveau erzielt hat.
Inflation bleibt auch mittelfristig das drängendste Thema für Verbraucher, Unternehmen und Kapitalmärkte.
Aktuell problematisch für die Notenbanker sind die angespannten Arbeitsmärkte, insbesondere in den Vereinigten Staaten, aber auch im Vereinigten Königreich. Solange die Zahl der offenen Stellen erhöht bleibt und die Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, offene Stellen mit entsprechend qualifizierten Bewerbern zu besetzen, wird sich die Gesamtinflationsrate nur langsam normalisieren. Dieser Druck ist besonders akut im Dienstleistungssektor, wo Produktivitätssteigerungen schwieriger zu erreichen sind und die Automatisierung problematischer ist.
Auf der anderen Seite glauben wir, dass schwächeres Wirtschaftswachstum auch zu geringerer Nachfrage führen muss und zunehmend die dominierende Kraft sein wird, sobald sich der Konjunkturzyklus deutlich verlangsamt. Dies spricht ebenfalls dafür, dass der Höhepunkt der globalen Inflation erreicht ist – auch wenn dies zweifellos auch bedeutet, dass die immer noch hohen Konsumentenpreise sich auf Verbraucher zusätzlich negativ auswirken.
Man denke etwa an die Auswirkungen, die das Ende der billigen Energie in Europa auf die Verbraucher hat und weiter haben wird. Auch wenn die europäischen Gaspreise sich im Laufe der Zeit zwar wieder abschwächen, bleiben sie im historischen Vergleich hoch. Die energiebedingte Inflation wird sich von hier aus zwar allein durch den Basiseffekt deutlich abschwächen, aber dennoch verzögert sich die Rückkehr zum Ziel von 2 %. Und die EZB steht unter Druck, ihre Glaubwürdigkeit durch eine relativ straffe Geldpolitik zu verteidigen.
Verlauf der Fed-Zinserhöhungen (in Prozentpunkten )
Die US Notenbank hat dieses Jahr die Zinsen besonders stark und schnell angehoben. Nur 1980 hat die Fed die Zinsen noch schneller erhöht.

Quelle: Refinitiv Datastream, Federal Reserve.
Stand: 14.12.2022
Die Debatte über das Tempo der geldpolitischen Normalisierung, die eine Schlüsseldeterminante der geldpolitischen Maßnahmen sein wird, bleibt uns also auch im neuen Jahr erst einmal erhalten. Dabei sind die Erwartungen für zukünftige Preissteigerungen ein wichtiger Faktor für die Entscheidungen der Zentralbanken. Hier sehen wir – und das ist positiv –, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen nach wie vor gut verankert und weitgehend mit den etablierten Definitionen von Preisstabilität vereinbar sind.
Die ersten Anzeichen für einen Höhepunkt der Inflation haben im Sommer und gegen Ende des vergangenen Jahres zu einer Bärenmarktrally bei Aktien und den riskanteren Teilen des Anleihenmarktes geführt. Grund hierfür war eine Änderung in der Rhetorik der großen Zentralbanken, die alle mehr oder minder deutlich bestätigten, dass sie das Tempo zukünftiger Zinserhöhungen verlangsamen würden. Aber Investoren sollten sich nicht täuschen. Die Verschlankung der Zentralbankbilanzen, kombiniert mit den höheren Zinsen, schafft relativ restriktive finanzielle Bedingungen – anders als in der langen Phase ultra-lockerer Geldpolitik ein herausforderndes Umfeld für Aktien und andere Risikoanlageklassen.
Da die globalen Zinsen ein relativ hohes Niveau aufweisen, sind die Gesamtrenditeerwartungen für alle festverzinslichen Anlagen für uns jedoch attraktiver geworden als in den vergangenen Jahren. So scheint die in den Renditen von Unternehmensanleihen enthaltene Risikoprämie eine mehr als angemessene Kompensation für den zu erwartenden Anstieg der derzeit niedrigen Ausfallraten zu bieten.
Kurzfristig vorsichtig, langfristig optimistisch
Die Bewertungen von Aktien, etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis, haben im vergangenen Jahr zwar korrigiert, aber das Niveau des erwarteten Gewinns pro Aktie ist in vielen Märkten noch nicht an die neue wirtschaftliche Realität angepasst worden. Die Gewinnerwartungen scheinen die anhaltenden Sorgen um das Wirtschaftswachstum und die Inflation zu ignorieren. Die Stimmung der Anleger ist durch diese Faktoren belastet. Aus unserer Sicht bleiben wir für Aktien noch vorsichtig gestimmt – zumindest in der kurzen Frist.
Auf längere Sicht sind wir aber der Meinung, dass risikoreichere Anlagen wie globale Aktien und Unternehmensanleihen ein größeres Performance-Potenzial haben als globale Staatsanleihen, trotz eines etwas langsameren globalen Wachstums und eines leichten Anstiegs der globalen Inflationserwartungen.
Jedes Jahr überprüfen wir unsere Kapitalmarkterwartungen für die kommenden 10 Jahre. Ende November haben wir die Arbeit dazu abgeschlossen, bei der wir die Faktoren, die die Kapitalmärkte bestimmen, überprüfen. Aktuelle Bewertungsmaßstäbe, historische Risikoprämien, Wirtschaftswachstum und Inflationsaussichten bilden die Grundlage unserer Prognosen. So kommen wir zu dem Schluss, dass über einen Zeitraum von zehn Jahren hauptsächlich die Höhe und das Wachstum der Unternehmensgewinne die Gesamtrendite für die Aktionäre bestimmen. Auf dem heutigen Niveau ist die Bewertung von Aktien zumindest kein Hindernis mehr für das langfristige Renditepotenzial der Anlageklasse.
Kurzfristig bleibt es allerdings ein herausforderndes Umfeld. Zwar dürften die Notenbanken irgendwann im nächsten Jahr Zinssenkungen signalisieren, was bis Ende des Jahres zu einer Erholung der Vermögenspreise führen sollte. Damit es aber zu dieser Umkehr kommt, muss einiges passieren: deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, Anstieg der Arbeitslosigkeit und Rückgang der Inflation. Für die zweite Jahreshälfte sind wir positiver gestimmt. Auch weil sich Investoren dann auf die besseren Konjunkturaussichten und Fundamentaldaten im Jahr 2024 konzentrieren dürften.
