Um die unerwartet hohen Inflationsraten wieder einzufangen und mittelfristig auf das angestrebte Niveau von 2 % zu senken, haben in den letzten zwölf Monaten weltweit die Notenbanken angefangen, ihre Geldpolitik deutlich zu straffen. Allen voran die US-Notenbank Fed. Seit März 2022 hat sie vier Zinserhöhungen im Juni, Juli, September und November um jeweils 75 Basispunkte und eine im Dezember um 50 Basispunkte vorgenommen. Damit hat sie den Leitzins auf einen Korridor von 4,25 % bis 4,50 % angehoben.
Deutlich gemäßigter ging dagegen das europäische Pendant vor. In insgesamt vier Zinsschritten seit Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf lediglich 2,50 % erhöht.
Augen auf die Notenbanken
Die Märkte fragen sich nun, wie weit die Zinsen noch steigen werden und wann der Zinserhöhungszyklus ein Ende findet.
Glaubt man den Worten des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell nach der Dezember-Sitzung, dürften noch zwei weitere Zinserhöhungen als wahrscheinlich gelten. So sagte er bereits im November, dass die Leitzinsen über die Kerninflationsrate steigen müssten, denn wenn die Realzinsen negativ seien, sei die Geldpolitik eindeutig nicht straff genug.
Die Volatilität dürfte zwar andauern, doch die Renditen und die Bewertungen sind unseres Erachtens inzwischen attraktiver geworden.Vor diesem Hintergrund sind wir der Meinung, dass geschickte Anleger immer noch in der Lage sein sollten, potenzielle Chancen innerhalb des europäischen Anleihenuniversums aufzudecken.
David Zahn, CFA, FRM, Head of European Fixed Income, Franklin Templeton Fixed Income
Quelle: Franklin Templeton
Ausblick für europäische Anleihen: Inflation dürfte erhöht bleiben
Das Franklin Templeton Fixed Income Team geht davon aus, dass der Kern-Verbraucherpreisindex (VPI) im ersten Quartal 2023 bei 6 % liegen und im zweiten Quartal nur knapp unter 6 % betragen wird. Das offizielle Ziel der Fed – die Kerninflation der persönlichen Konsumausgaben – wird etwas darunter liegen und der Fed somit einen gewissen Spielraum verschaffen. Allerdings hat Powell schon früher eingeräumt, dass die Fed auch den VPI berücksichtigt, weil dieser Wert für die Menschen wichtig ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Fed Funds Rate sich in Richtung 5,5 % entwickeln wird. Dies markiert das Ende des langen Abwärtstrends der Zinssätze, der seit dem Höchststand in den frühen 1980er Jahren vorherrschte.
Im Vergleich zur US-Notenbank wird die Europäische Zentralbank nach Auffassung des Franklin Templeton European Fixed Income Teams im Jahr 2023 mit noch größeren Herausforderungen konfrontiert sein. Es besteht ein mögliches „Fragmentierungsrisiko“, denn steigende Zinssätze stellen für die stärker verschuldeten Mitgliedsländer der Eurozone eine große Belastung dar. Die EZB hat zwar versichert, dass sie mit ihrem „Anti-Fragmentierungsinstrument“ Unterstützung bieten wird, doch bereits jetzt konnte eine kontinuierliche Ausweitung der Spreads zwischen den einzelnen Ländern festgestellt werden.
Rendite Spreads 10-jähriger Staatsanleihen gegenüber Deutschland (08.12.2017–08.12.2022)
Die steigenden Zinsen haben dafür gesorgt, dass sich die Spreads zwischen einzelnen Ländern in der Eurozone ausgeweitet haben.

Quelle: Refinitiv Datastream.
Bezeichnenderweise hat sich der Tonfall der EZB in letzter Zeit gemäßigt: Die Geldpolitik zielt nun nicht mehr darauf ab, die Nachfrage zu „dämpfen“, sondern vielmehr „die Unterstützung zu verringern“. Zwar sind weitere Zinserhöhungen wahrscheinlich, diese könnten jedoch in den nächsten Sitzungen in einem geringeren Tempo erfolgen, nachdem die Zentralbank erklärt hat, sie habe bereits „erhebliche Fortschritte“ bei der Rücknahme der Lockerungsmaßnahmen erzielt.
Auswirkung auf Aktien und Anleihen
Aktien gelten als durchaus zinssensitiv. Wenn die Renditen und der Diskontsatz, der zur Abzinsung von Cashflows verwendet wird, steigen, schlägt sich dies auf die Aktienkurse nieder. Da vorerst auch keine Zinssenkungen zu erwarten sind, dürfte sich an dieser Situation wenig ändern.
Zusätzlich deuten viele Indikatoren darauf hin, dass eine Rezession in den nächsten Monaten sehr wahrscheinlich ist. Obwohl diese in den USA recht mild ausfallen dürfte, wird sie bei den Unternehmensgewinnen Spuren hinterlassen. Inwieweit diese Gewinnrückgänge in den Aktienkursen bereits eingepreist sind, ist fraglich. Daher ist es gut möglich, dass weitere Kurskorrekturen erfolgen. In Europa ist aufgrund der Energieproblematik mit einer stärkeren Rezession als in den USA zu rechnen, was auch hierzulande zu fallenden Aktiennotierungen führen kann.
Aktien dürften ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum und im Idealfall ein Umschwenken der Notenbanken benötigen, um wieder in einen langfristigen Hausse-Modus zu wechseln. Dieses Szenario dürfte allerdings aufgrund der drohenden Rezession und der restriktiven Geldpolitik vorerst unrealistisch sein.
Anders sieht die Lage bei festverzinslichen Papieren aus. Nachdem Anleihen in den letzten Jahren wenig attraktiv waren, werfen sie heute wieder wettbewerbsfähige Renditen ab.
Unternehmens- und Hochzinsanleihen mit wettbewerbsfähigen Renditen
Im vergangenen Jahr sind die Renditen verschiedener Anleihenklassen deutlich nach oben gesprungen.

Quelle: Franklin Templeton Capital Market Insights Group, Macrobond
Stand: 30.09.2022
Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftigen Renditen
Obwohl der Höhepunkt und die Dauer der Inflation sowie der Zinssätze ungewiss sind, könnten ein Ausbau der Anlagen in festverzinsliche Wertpapiere im Allgemeinen und eine Aufstockung der Duration derzeit sinnvoll sein.
Fazit:
Die Anleiherenditen, die AnlegerInnen heute erzielen können, sind die Renditen, die sie sich über den ganzen Zeitraum ihrer Investition sichern. Wer beispielsweise eine Anleihe mit einer Rendite von aktuell 5 % oder 6 % erwirbt, wird diese über die ganze Laufzeit erhalten, egal wie stark der Kurs der Anleihe schwankt. Ob mittel- bis langfristig mit noch höheren Zinssätzen und Renditen zu rechnen ist, ist sehr schwierig zu prognostizieren. Je nachdem, wie stark die erwartete Rezession ausfällt und was davon bereits in den Märkten eingepreist ist, könnten die Zinssätze auch wieder fallen.
Die Vorteile einer Geldanlage in festverzinsliche Papiere liegen somit auf der Hand. Während vor allem Aktien und auch zu einem gewissen Grad Anleihenkurse Schwankungen unterliegen, können sich AnlegerInnen aktuell attraktive Renditen sichern. Diese Erträge könnten in einem unsicheren Börsenumfeld ein wichtiger und stabilisierender Teil des Depots sein.
