AUTOREN

Matthias Hoppe
SVP/Head of EMEA Portfolio Management
Franklin Templeton Investment Solutions
Das Jahr 2024 startete an den Börsen furios. Vor allem die Gewinner des vergangenen Jahres setzten ihre Rally fort. Die „Magnificent Seven“ – zu deutsch die Großartigen Sieben, also die sieben Unternehmen mit der weltweit höchsten Marktkapitalisierung – führen das Feld an. Rund 16 % sind die Titel per Mitte März seit Jahresanfang gestiegen. Grund für die Euphorie ist, ähnlich wie im vergangenen Jahr, weiterhin das Thema künstliche Intelligenz (KI).
Dabei stehen ungelöste geopolitische Spannungen, wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sowie der Technologiestreit zwischen den USA und China, weiterhin im Raum. In mehr als 50 Ländern werden zudem in diesem Jahr nationale Wahlen abgehalten. In den USA dürften die Präsidentschaftswahlen immer enger in den Fokus rücken. Das birgt das Risiko, die Unsicherheit über den weiteren Konjunkturverlauf zu erhöhen und entsprechend die Kapitalmärkte zu belasten.
Hinzu kommt, dass dieses Jahr weiterhin im Zeichen der Geldpolitik steht. Es wird erwartet, dass die Notenbanken in den USA und in Europa damit beginnen, die Zinsen wieder zu senken, nachdem diese seit 2022 drastisch angezogen wurden. In Japan hingegen erwartet man den ersten Zinsanstieg. Die Bank of Japan hat in 2016 negative Leitzinsen eingeführt und seitdem beibehalten.
Welche Auswirkungen eine Änderung in den Erwartungen zur Geldpolitik auslösen kann, zeigte sich gleich zu Jahresbeginn. In den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres legten Anleihen eine erstaunliche Entwicklung hin: So fielen die Renditen von 10-jährigen US-Staatsanleihen von 4,98 % Mitte Oktober um mehr als 100 Basispunkte auf 3,88 % am Jahresende. Im Umkehrschluss bedeutete dies eine Wertentwicklung von rund 6 %. Die Aktienmärkte profitierten ebenfalls von der Zinssenkungsphantasie. So legte der US-Aktienindex S&P 500 im gleichen Zeitraum ebenfalls um rund 6 % zu. Der Grund: Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer spekulierten auf einen Start der Zinssenkungen durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) am Anfang des neuen Jahres.
Doch diese Hoffnung wurde im Januar bereits wieder ausgepreist, die Renditen stiegen wieder. Im Höchstpunkt lagen sie im Februar bei 4,31 %, Mitte März immer noch bei 4,15 %. Den Aktienmärkten hat das hingegen wenig geschadet. Wieso aber die Kehrtwende bei den Erwartungen?
Auf der Sitzung Ende Januar signalisierte der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, dass die Erwartungen auf eine erste Zinssenkung im März enttäuscht werden dürften. Die Fed hat es nicht eilig, die geldpolitischen Zügel zu lockern. Grund: die solide Konjunktur in den USA. Zwar gehen wir ähnlich wie andere Beobachter davon aus, dass die antizipierte Lockerung kommt – aber erst ab Juni und wahrscheinlich in geringerem Ausmaß als an den Märkten erwartet. Bis zum Jahresende rechnen wir mit einer Senkung des Leitzinses von heute 5,5 % auf etwa 4,75 %. Vor dem Hintergrund der positiven konjunkturellen Lage, der weiter hohen Kerninflation und nicht zuletzt des immer noch sehr robusten Arbeitsmarktes ist diese Prognose aus heutiger Sicht jedoch – zugegeben – ziemlich unsicher.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen blieb bisher bei ihrem Kurs. Die erste Zinssenkung dürfte voraussichtlich ebenfalls im Juni kommen. Im vergangenen Jahr bereits äußerten wir die Erwartung, dass eine Normalisierung der Inflation in Richtung 2 % für Ende 2024 nicht unwahrscheinlich sei. Sicher: Es könnte einige Monate länger dauern, weil die Kerninflation ohne Energie und Nahrungsmittel immer noch relativ hartnäckig hoch ist – auch wenn sie in den ersten zwei Monaten zumindest stagnierte. Aber selbst die Bundesbank hält das 2%-Ziel bis 2025 für erreichbar. In den vergangenen sechs Monaten ist die Gesamtinflation kaum noch gestiegen.
Inflationsrate Eurozone: Beiträge aus Kerninflation, Nahrungsmittel und Energie
Es besteht noch Abwärtspotenzial bei der Kerninflation.

*ohne Nahrungsmittel, Energie, Alkohol und Tabak
für die Eurozone
Quelle: LSEG Datastream
Daten vom 28.02.2019 bis 29.02.2024
Die Konjunktur selbst dürfte dabei kein Inflationstreiber sein. Denn die Eurozone wird 2024 keine große Dynamik an den Tag legen. Der Konsens der von Bloomberg befragten Ökonominnen und Ökonomen erwartet in diesem Jahr nur ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,5 %. Der Bremsklotz ist dabei vor allem Deutschland. Streiks und Lieferkettenprobleme belasten zusätzlich. Auf der anderen Seite dürften die wachsenden Reallöhne im Jahresverlauf aber für eine leichte Belebung des privaten Konsums sorgen.
Anderswo signalisieren mehrere Frühindikatoren bereits ein Ende des Abwärtstrends. Selbst Chinas Wirtschaft konnte sich Ende 2023 erholen, trotz Schwierigkeiten im Außenhandel und bei der durch die Immobilienkrise gebeutelten Binnennachfrage. Das Szenario einer Rezession in den USA und der Eurozone, das Anfang vergangenen Jahres noch gezeichnet wurde, ist mittlerweile durch das eines „Soft-Landing“, also einer sanften Landung der Konjunktur, ersetzt worden. Dabei handelt es sich nicht um einen Aufschwung, aber bei vielen Wirtschaftsindikatoren überwiegen weltweit die positiven Überraschungen.
Globaler Einkaufsmanagerindex:
Industrie und Dienstleistungen
Der weltweite Industriezyklus erholt sich.

Quelle: J.P. Morgan
Daten vom 28.02.2019 bis 29.02.2024
Dabei fallen die Vereinigten Staaten durch eine überdurchschnittlich gute Konjunktur auf. Aus dem „Soft-Landing“ wurde für einige Experten sogar ein „No Landing“. Soll heißen: Die Wirtschaft fliegt vorerst geräuschlos weiter. Die Umfrage von Bloomberg zeigt, dass seit August die BIP-Prognosen für 2024 sukzessive nach oben korrigiert wurden: Die Schar der befragten Volkswirtinnen und -wirte sieht das Wachstum im Jahr 2024 bei 2,1 % – trotz oder gerade wegen der anstehenden Präsidentschaftswahl.
Die globale Bedeutung der Wahl muss zwar betont werden. Aber unabhängig davon, ob der aktuelle Präsident Joe Biden oder sein Vorgänger Donald Trump gewinnt: Anlegeinnen und Anleger können mit weiteren Maßnahmen zur Ankurbelung der amerikanischen Industrie und einer Rückverlagerung ausländischer Produktionen in die Vereinigten Staaten sowie nach Mexiko und Kanada rechnen. Die anhaltenden Hindernisse für den Handel mit China dürften weiter bestehen.
Hier kommt wieder die Geopolitik ins Spiel. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im US-Senat und Repräsentantenhaus ist mit einer Zurückhaltung gegenüber Interventionen in ausländische Konflikte wie den Ukrainekrieg zu rechnen. Das könnte Europa vor verteidigungspolitische Herausforderungen stellen – und die geopolitische Unsicherheit steigen lassen – und gleichzeitig die Verteidigungsausgaben ankurbeln.
Mein Kollege Kim Catechis vom Franklin Templeton Institute weist darauf hin, dass ausgerechnet in diesem Jahr, in dem weltweit so viele Wahlen stattfinden, zum ersten Mal generative künstliche Intelligenz und „Deepfake“-Technologien allgemein zugänglich sind. Wobei wir wieder beim Thema wären. Diese neuen Technologien sind seiner Meinung nach sehr alarmierend, da sie das Potenzial haben, Fehlinformationen zur Manipulation von Wahlausgängen zu verbreiten und zu verstärken.
Weder die Aktien- noch die Rentenmärkte zeigten sich bisher von den aufgeführten Risiken beeindruckt – politische Börsen haben bekanntlich kurze Beine. Wie erwähnt tendierten die Renditen von Staatsanleihen seit Jahresanfang wieder aufwärts. So lag die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen zuletzt über 2,3 %. Im Moment werden die Rentenmärkte eher durch die Inflations- und geldpolitischen Erwartungen bestimmt.
Sollte es aber zu einer Krise an den Finanzmärkten oder neuen geopolitischen Schocks kommen, dürften die Renditen durch eine Flucht in Sicherheit sehr schnell auf die Probe gestellt werden – und die Aktienkurse ebenfalls. Dabei haben Aktien zum Teil schon viel Positives vorweggenommen und zeigen in gewissen Bereichen bereits hohe Bewertungen.
Während der japanische Nikkei 225 Index und der heimische DAX noch fair gepreist erscheinen, sind US-Titel relativ teuer.
Während der japanische Nikkei 225 Index und der heimische DAX noch fair gepreist erscheinen, sind US-Titel relativ teuer. Der S&P 500 Index weist ein Kurs-Gewinn- Verhältnis (KGV) von 21 auf, basierend auf sehr optimistischen Gewinnschätzungen für die kommenden 12 Monate. Das Wachstum der Unternehmensgewinne des S&P 500 Index für 2024 wird im Moment noch mit 10 % erwartet, auch dank eines soliden vierten Quartals 2023. Allerdings werden diese Erwartungen von der Schar der Aktienanalystinnen und -analysten – ähnlich dem jährlichen Muster – bereits nach unten revidiert.
Historisch gesehen zeigt der US-Markt während risikoreicher Phasen eine größere Widerstandsfähigkeit im Vergleich zu anderen Regionen. Ein Grund, warum wir ihn, wenn auch mit etwas Bauchschmerzen, weiterhin gegenüber anderen Regionen, wie etwa Europa, bevorzugen. In unseren Multi-Asset-Portfolios behalten wir zunächst eine höhere Aktienquote bei – auch aufgrund der stabilen (wenngleich nicht inspirierenden) Konjunkturaussichten. Doch die Bewertung könnte die zukünftige Wertentwicklung möglicherweise einschränken. Insbesondere die „Magnificent Seven“ sind mit einem KGV von 30 bereits sehr hoch bewertet – auch dank der Phantasie rund um KI.
Dass KI nicht nur die Phantasie beflügelt, sondern bereits unsere Arbeitswelt beeinflusst, zeigt dieser Text. Während ich diese Zeilen schreibe (mit einer bekannten Textverarbeitung eines Mitglieds der „Magnificent Seven“), fragt mich der eingebaute KI-Assistent, der sich Copilot nennt, ob er mir beim Formulieren helfen kann. Gerne, denke ich mir. Aber das klappt nur bedingt. Vielleicht liegt es daran, dass er zu wenig auf Deutsch trainiert wurde. Den Text musste ich dann doch selbst schreiben. Die Gedanken sammeln und sortieren ebenfalls. Und ein menschlicher Lektor wird diese Zeilen auch noch redigieren. Der Copilot muss das „No-Landing“ noch lernen. Ich vermute, er lernt schnell.
