AUTOREN

Stephen Dover, CFA
Chief Investment Strategist
Head of Franklin Templeton Institute
Dieser Artikel wurde ursprünglich im LinkedIn Newsletter „Global Market Perspectives“ von Stephen Dover veröffentlicht. Folgen Sie Stephen Dover auf LinkedIn, wo er seine Gedanken und Kommentare sowie seinen Newsletter mit globalen Marktperspektiven veröffentlicht.
Stellen Sie sich vor, Sie wären im Jahr 1794, als Eli Whitney die Baumwollentkörnungsmaschine erfand. Oder vielleicht 354 Jahre früher, als Johannes Gutenberg die Druckerpresse erfand. Vielleicht wäre Ihnen der 17. Dezember 1903 lieber, der Tag, an dem der erste Flug der Gebrüder Wright stattfand? Oder das Jahr 1957, als der Sputnik ins Weltall geschossen wurde, die erste Unternehmung des Menschen außerhalb der Erdatmosphäre?
Diese außerordentlichen Erfindungen revolutionierten – neben dutzenden weiteren –, wie wir Landwirtschaft betreiben, Informationen übermitteln, lange Strecken überwinden oder Bereiche jenseits unseres Planeten erforschen. Im Vergleich zum Auftreten der künstlichen Intelligenz (KI) könnten sie sich jedoch letztlich als unwesentlich erweisen. So schätzen viele Befürworter und Gegner der KI gleichermaßen das transformative Potenzial der Maschinenintelligenz ein.
In diesem ersten Beitrag einer Reihe zum Thema KI klären wir, was KI ist und was (noch) nicht. Wir untersuchen, worin die Entwicklung und Verbreitung der KI anderen technologischen Fortschritten ähnelt und sich davon unterscheidet. Wir befassen uns mit dem Potenzial und den Grenzen der KI. Schließlich ziehen wir erste Schlussfolgerungen darüber, wie Anleger das Potenzial der KI in ihren Portfolios nutzen können.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Im Oxford English Dictionary wird KI definiert als die „Entwicklung von Rechnersystemen, die Aufgaben ausführen können, die üblicherweise menschliche Intelligenz erfordern“. Diese Definition ist allerdings so schwammig, dass sie auch Aufgaben umfasst, die seit Generationen mithilfe gewöhnlicher Taschenrechner bei der Ausführung der Grundrechenarten bewältigt werden.
Daher unterscheidet sich KI vom bloßen Rechnen durch die Fähigkeit von Rechnersystemen, zu lernen, sich anzupassen und Intelligenz zu erwerben. Hierdurch werden dann dynamische Reaktionen auf sich verändernde Situationen ermöglicht, mit denen menschliche Fähigkeiten nachgeahmt und sogar übertroffen werden. Professor John McCarthy von der Stanford University, der den Begriff KI prägte, bezeichnete KI im Jahr 1955 als „die Wissenschaft und die Entwicklung intelligenter Maschinen“.
Die KI überspannt autonome Systeme (z. B. selbstlenkende Roboter), maschinelles Lernen (algorithmische Mustererkennung auf Basis von großen Datenmengen), Lernen durch Labeling (mithilfe von Bildern zur Beschleunigung der Mustererkennung) und Deep Learning (z. B. mithilfe neuronaler Netze, um Schlussfolgerungen zu ziehen, u. a. aus kleineren Datenproben).
Mithilfe von KI können Maschinen mittlerweile Stimmen und Bilder erkennen, auf mündliche und schriftliche Fragen antworten, Großmeister in Spielen wie Schach und Go schlagen, komplexe und sich dynamisch verändernde Strecken befahren usw.
Auch wenn es große Diskussionen darüber gibt, wann die KI „erfunden“ wurde, ist sie mittlerweile alt und fortgeschritten genug, um bei vielen Alltagsanwendungen selbstverständlich zu sein. Dies sind u. a.:
- Zuordnung von Verbrauchern zu Gütern und Dienstleistungen im E-Commerce (zielgerichtetes Marketing)
- Spracherkennungsassistenten wie z. B. Alexa von Amazon oder Siri von Apple
- Betrugserkennung, vor allem im Bereich Privatfinanzen
- Spam-Filterung bei E-Mails und anderen Anwendungen
- Gesichtserkennung (bspw. als Ersatz für Passwörter bei der Aktivierung von Smartphones, Tablets oder Computern)
- Navigationsanwendungen in Kraftfahrzeugen
- Robotik-Anwendungen in den Bereichen Gesundheit, Lagerhäuser und Bauwesen
- Diagnostische Analyse bspw. in der Radiologie
- Entwicklung autonomer (selbstfahrender) Fahrzeuge sowie Kfz-Sicherheitsausstattungen (z. B. automatisches Bremsen)
- Erstellung von Dokumenten (bspw. im Marketing)
Künstliche Intelligenz und die Ökonomie der Innovation
Ökonomen wissen bereits seit langem, dass nachhaltige Steigerungen des Lebensstandards kontinuierliche Innovationen erfordern, mit denen die Leistung je Arbeitsstunde (d. h. die Produktivität) anhaltend gesteigert werden kann. Während des Großteils der Menschheitsgeschichte betrafen Innovationen entweder Verbesserungen des Humankapitals (menschliches Know-how) oder des physischen Kapitals (bessere Werkzeuge, mit denen Aufgaben effizienter ausgeführt werden konnten).
Die KI fügt sich in diese Unterscheidung jedoch nicht nahtlos ein. Sie könnte möglicherweise das Wissen, die Fertigkeiten oder die Intelligenz des Menschen steigern und Arbeitern bessere Werkzeuge bereitstellen, um produktiver zu werden.
Sie könnte sie aber auch ersetzen.
Anders ausgedrückt: Traditionelle Innovationen machten die vorhandenen Arbeitskräfte produktiver, weil sie „klüger“ wurden, ihnen Werkzeuge bereitgestellt wurden, um mehr zu produzieren, oder sie Menschen durch produktivere Maschinen ersetzten.
Doch nicht immer wurden Arbeitskräfte bei früheren Innovationen ersetzt.
So ermöglichten die Innovationen des Drucks und viel später des Internets den Arbeitskräften, ihre Fertigkeiten und ihr Wissen zu steigern und produktiver zu werden. In vorgeschichtlicher Zeit steigerte die Bändigung des Feuers die Kalorienzufuhr der Menschen (insbesondere durch tierische Eiweiße), während die Erfindung des Rades den Menschen die Beförderung von Gütern an den Ort mit der größten Nachfrage ermöglichte.
Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schrumpften Raum und Zeit aufgrund von Erfindungen, die eine unverzügliche weltweite Kommunikation ermöglichten (z. B. Telegraf, Telefon und Internet), und von Erfindungen, welche die Regionen zusammenführten (z. B. Dampfschiff, Zug, Automobil, Düsenflugzeug), erheblich. Die Verkürzung der Kommunikations- und Verkehrswege leistete beträchtlichen Produktivitätszuwächsen Vorschub, die mit einem rasch wachsenden internationalen Handels- und Finanzwesen einhergingen. Hierdurch wurden Millionen von Menschen Teil der weltweiten Erwerbsbevölkerung, und viele hatten deutlich bessere Arbeitsplätze und Einkommen. Diese Zuwächse waren darüber hinaus insgesamt ausgesprochen positiv.
Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben produktive Innovationen die menschliche Arbeitskraft somit sowohl ergänzt als auch ersetzt. Feuer, Rad und Information waren in erster Linie Innovationen, mit denen die menschliche Produktivität erhöht wurde. Andere Innovationen wie z. B. Traktoren, Dresch- und Mähmaschinen sowie Lkw ersetzten den Menschen in der Landwirtschaft. Gleiches gilt für Textverarbeitungsgeräte und Anrufbeantworter, von denen Sekretariats- und andere Verwaltungstätigkeiten am Arbeitsplatz verdrängt wurden.
Daher lautet eine der wichtigsten Fragen für die Ökonomie, ob die KI den Beitrag des Menschen zur Produktion eher ergänzen oder ersetzen wird. Tatsächlich lässt sich dies noch nicht beantworten. Vielleicht wird die KI aus diesem Grund derzeit ebenso gefürchtet, wie bewundert.
Der Faktor Angst
Die Ersetzung des menschlichen Beitrages durch Maschinen ist im modernen Kapitalismus ein wiederkehrendes Thema, das schon mit der Verdrängung des Menschen aus der Landwirtschaft im Vereinigten Königreich und in den USA zwischen ca. 1850 und 1950 begann. Dies war eine Zeit, in der mehr als die Hälfte aller Amerikaner aus dem Landwirtschafts- in den Industrie- und Dienstleistungssektor wechselte und aus den ländlichen Gebieten entwurzelt und in die Städte und Vorstädte verpflanzt wurde. In jüngerer Zeit wurden Arbeiter in den Fabriken durch Maschinen (einschließlich Robotern) ersetzt. Hierdurch wurde die Beschäftigung in vielen Branchen (am bekanntesten ist der Bereich Automobilmontage) in hohem Maße verringert.
Als Thema in Literatur, Film und Kunst wurden diese enormen Verwerfungen und der menschliche Schmerz und das Leid, die von ihnen ausgelöst wurden, rund um den Globus in das Bewusstsein der Menschen eingebrannt. Die Moderne hatte stets eine raue Seite und verursachte in den Jahrhunderten ihrer Existenz vermutlich mehr Beklemmungen als utopische Träume.
Es kommt daher wenig überraschend, dass die aktuelle Verkörperung der Moderne – menschenähnliche Maschinen aus Basis von KI – in weiten Teilen der Bevölkerung Ängste erzeugt.
Doch die Vergangenheit als unser Leitstern beweist, dass die meisten Innovationen rasant voranschreiten, auf Ängste oder Traditionen keine Rücksicht nehmen und dass bestenfalls Führungsschienen eingerichtet werden können, um die schlimmsten Folgen der Innovationen etwas zu begrenzen. In Anbetracht der Anzahl an Akteuren, die weltweit in die Entwicklung der KI eingebunden sind, und des Umstandes, dass sie sich ihrem Wesen nach autonom entwickeln kann, ist kaum absehbar, wie sie gestoppt werden könnte, selbst wenn dies wünschenswert sein sollte (was nicht unbedingt so sein muss).
Dementsprechend bleibt abzuwarten, ob vom Menschen erfundene Institutionen, von denen die Regeln unseres Zusammenlebens festgesetzt werden – allen voran Demokratie und Rechtsstaatlichkeit –, die Beständigkeit und Anpassungsfähigkeit aufweisen werden, um die Bedingungen festzulegen, unter denen KI die menschlichen Lebensumstände verbessert und nicht beeinträchtigt.
KI: Investmentmöglichkeiten
Das Wort Innovation weckt häufig die Vorstellung von enormen Vermögen, die binnen kurzer Zeit angehäuft werden: die Rockefellers und Öl, Ford und Automobile, Gates und PCs, Zuckerberg und soziale Medien. Doch auch wenn diese Narrative nachweislich wahr sind, beinhalten sie auch eine verzerrte Erinnerung. Geschichte wird von den Siegern und über sie geschrieben, und die Verlierer kommen darin kaum vor.
Einige unserer Leser erinnern sich vielleicht noch schwach an andere, einst bekannte Namen: Wang Computers, Pets.com, Netscape oder Friendster. Dies sind nur einige Namen aus der langen Liste von Namen im Zeitalter des Computers, des Internets und der sozialen Medien, die einst Lieblinge der Wall Street waren, anschließend jedoch abstürzten.
Die Gegenüberstellung bahnbrechender Innovationen, mit denen einige reich wurden und andere in Vergessenheit gerieten, lehrt uns, dass es schwierig, wenn nicht unmöglich ist, beide in der Gegenwart zu unterscheiden. Es könnte ratsam sein, sein Investmentkapital über den gesamten Sektor zu streuen und so das große Renditepotenzial dieses Themas zu erfassen, ohne eine unbegründete Unterscheidung in Gewinner und Verlierer vorzunehmen, bevor dies überhaupt möglich ist.
Gleichzeitig ist ein tieferes Verständnis darüber nötig, wie breite Themen auf den Prozess der Titelauswahl angewendet werden und ein größeres Potenzial für Überschussrenditen bieten können, denn diese Themen werden für eine Messung häufig als zu schwierig angesehen. Thematische Investments lassen Raum für eher makroskopische Entscheidungen. Wer ein Thema in seiner Tiefe versteht, kann potenziell ein höheres Alpha erwirtschaften, als dies in jüngster Zeit mithilfe traditionellen aktiven Managements der Fall war.
Analog zu Fußball und Ergebnissen geht es darum, Tore zu schießen und Spiele zu gewinnen und hierbei den Ball im Spiel zu halten und die Stürmer in Position zu bringen, ohne die Verteidigung zu vernachlässigen und zu viele Tore zu kassieren. Mannschaften mit Superstars gewinnen den Pokal nicht immer – oder vielleicht am häufigsten.
So zumindest erzählte es mir ChatGPT.
Weitere Einschätzungen zur künstlichen Intelligenz finden Sie im Beitrag „Das KI-Zeitalter“ von Franklin Equity Group.

Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Franklin Templeton Institute
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.
Beteiligungspapiere unterliegen Kursschwankungen und sind mit dem Risiko des Kapitalverlusts verbunden.
Ein aktives Management garantiert weder Gewinne noch schützt es vor Marktrückgängen.
Anlagestrategien, welche die Identifizierung von thematischen Anlagechancen vorsehen, und ihre Wertentwicklung können beeinträchtigt werden, wenn der Anlageverwalter diese Chancen nicht richtig identifiziert oder wenn sich das Thema auf nicht erwartete Weise entwickelt.
Die Konzentration von Anlagen in Branchen mit einem Bezug auf Nicht-Basiskonsumgüter, Gesundheit, Technologie oder Informationstechnologie birgt viel größere Risiken ungünstiger Entwicklungen und Kursbewegungen in diesen Branchen als eine Strategie, die in einer größeren Zahl von Branchen anlegt.
Sofern eine Strategie sich auf bestimmte Länder, Regionen, Branchen, Sektoren oder Arten von Anlagen konzentriert, kann sie anfälliger für ungünstige Entwicklungen in solchen Schwerpunktbereichen sein als eine Strategie, die in ein breiteres Spektrum von Ländern, Regionen, Branchen, Sektoren oder Anlageformen investiert.
Investitionen in schnell wachsende Branchen wie den Technologie- und Gesundheitssektor (die in der Vergangenheit eine hohe Volatilität aufwiesen) können aufgrund des raschen Wechsels und der rasanten Entwicklung von Produkten insbesondere kurzfristig mit größeren Kursschwankungen einhergehen. Ein weiterer Grund hierfür können Änderungen der staatlichen Vorschriften für Unternehmen mit einem Schwerpunkt auf dem wissenschaftlichen oder technologischen Fortschritt oder der behördlichen Zulassung neuer Arzneimittel und medizinischer Instrumente sein.
Alle Unternehmen und/oder Fallstudien im vorliegenden Dokument dienen lediglich der Veranschaulichung. Eine Anlage wird derzeit nicht unbedingt in einem von Franklin Templeton empfohlenen Portfolio gehalten. Die bereitgestellten Informationen stellen weder eine Empfehlung noch eine individuelle Anlageberatung in Bezug auf bestimmte Wertpapiere, Strategien oder Anlageprodukte dar und sind kein Hinweis auf Handelsabsichten in Bezug auf ein durch Franklin Templeton verwaltetes Portfolio.
